Wie aus Industriebrachen Wohlfühlräume entstehen

Mit ideenreichen Projekten schafft die Immobilienwirtschaft in der Metropole Ruhr Spielwiesen für Neuansiedlung, Gewerbe-Expansion und Privatinvestoren. 

Auf dem Wasser ziehen Segelboote, am Ufer drehen Radfahrer und Jogger ihre Runden. Gleich daneben erheben sich weiße Bürogebäude neben Reihen- und Mehrfamilienhäusern. Nur wenige Autominuten von der Dortmunder Innenstadt entfernt ist am Ufer des Phoenix-Sees ein Idyll entstanden. „Die attraktive Lage direkt am Wasser ist ein klares Alleinstellungsmerkmal“, sagt Marc Wiegand von der Stadtwerketochter DSW21, die das Projekt entwickelt und vermarktet hat. Mit dem Ergebnis ist er mehr als zufrieden: 381 Grundstücke wurden seit 2010 vermarktet, die vier restlichen sind reserviert. 

Noch vor 20 Jahren hätten sich im Dortmunder Arbeitervorort Hörde junge Menschen nur zögernd angesiedelt. Auf der Fläche des neu angelegten Sees standen zwei große Stahlwerke. Schornsteine rauchten, es zischte und loderte. Als die Hütten nach 160 Jahren schlossen, blieb eine Brache so groß wie 100 Fußballfelder. Darauf haben die Stadtwerke Dortmund zusammen mit der Emschergenossenschaft das Wohn- und Arbeitsquartier „Breeze Living“ errichtet.

Neues Leben auf alten Flächen

Das Projekt ist nicht nur eines von vielen, das die Dynamik der Immobilienwirtschaft in der Region widerspiegelt. Es zeigt auch, wie sich ehemalige Industrieflächen mit Ideenreichtum aufwerten lassen. An dutzenden Stellen greifen Immobilienentwickler auf Areale zurück, auf denen früher Hochöfen, Fördertürme und Fabriken standen. Die stillgelegten Flächen bilden Reserven, die es in anderen Ballungsräumen nicht gibt und die dem Immobilienmarkt an der Ruhr noch zusätzlich Schwung verleihen können.

Dank des vergleichsweise guten Flächenangebots und der niedrigen Zinsen hat sich der Leitmarkt Bauen und Wohnen in der Metropolregion zu einem stabilen Pfeiler der Wirtschaft entwickelt. Mehr als 191.000 Beschäftigte arbeiteten hier 2017 in der Bau-, Einrichtungs- und Immobilienbranche – ein Plus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt sind damit mehr als elf Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Metropole Ruhr in dieser Branche tätig.

Gute Nachfrage nach Wohn- und Gewerbeflächen 

 
Generell ist die Immobilienwirtschaft ein wichtiger Stimmungsmesser für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region. Denn in langfristige Bau- und Wohnprojekte investieren nur Geschäftsleute, die für die nächsten Jahre mit einem günstigen Umfeld rechnen. „Besonders bei Wohn- und Gewerbeflächen ist die Gesamt­nachfrage gut“, bestätigt Stephan Conrad von der RAG Montan Immobilien GmbH. Die Tochter des ehemaligen Kohlekonzerns entwickelt Flächen im gesamten Ruhr­gebiet. Und die Liste ihrer geplanten Projekte ist lang: Technologieparks gehören ebenso dazu wie Wohnquartiere und Logistikzentren. 

Ein großer Teil der Grundstücke, die die RAG Montan Immobilien heute im Wege des Redevelopment wieder nutzbar macht, stammt aus dem Steinkohlebergbau. So auch ein Projekt in Neukirchen-Vluyn, unweit von Krefeld. Dort entwickelt die Gesellschaft vier Wohnquartiere für 900 Menschen sowie Gewerbe- und Mischgebietsflächen, von denen bereits 40.000 Quadratmeter vermarktet sind. Früher lag auf dem Areal die Zeche Niederberg, in der noch bis 2001 Steinkohle gefördert wurde. An diese Industriegeschichte erinnert heute nur noch ein alter Förderturm, der als Denkmal erhalten bleibt. Rundherum sind Wiesen und Wege entstanden, wurden 360 Bäume gepflanzt. Das Interesse an Wohnungen, Büros und Gewerberaum sei riesig gewesen, erzählt Conrad. „Alle Flächen waren in nur wenigen Tagen ausgebucht.“ 

Ausreichend freie Flächen und innovative Wohnkonzepte 

In Ballungsräumen wie München oder Stuttgart gibt es in den Stadtzentren kaum noch verfügbare Flächen. Das ist in der Metropole Ruhr anders. Denn durch die vielfältige und dezentrale Struktur haben Bewohner und Investoren die Wahl. „Wer am gewünschten Ort die gesuchte Immobilie nicht mehr findet, kann in eine benachbarte Stadt ausweichen, ohne lange Wege in Kauf nehmen zu müssen“, sagt Torsten Bölting, Geschäftsführer des Bochumer Immobilienberatungsinstituts InWis. 

Damit ein Stadtzentrum attraktiv bleibt, sind aber nicht nur geeignete Flächen nötig, sondern auch gute Ideen – wie die von Reinhard Wiesemann. Der Geschäftsmann entwickelte in der Essener Fußgängerzone ein Mehrgenerationenhaus. Es trägt den Namen „Generationenkult-Haus“ und wendet sich an Menschen unterschiedlichen Alters mit vielfältigem Hintergrund. In dem Haus gibt es eine Co-Working-Etage für Gründer und Freiberufler, daneben 15 seniorengerechte Wohnungen, 30 WG-Zimmer, eine Lounge-Etage und Dachterrassen. Im Gegensatz zu vergleichbaren Häusern ist das Projekt bewusst für Leute konzipiert, die Karriere machen und Netzwerke knüpfen wollen. „Der Gedanke hinter dem Generationenkult-Haus ist für mich die Frage, wie ich selbst gern alt werden möchte“, sagt Wiesemann, der auf einer Facebook-Seite für sein Projekt wirbt. Was die Mieten betrifft, gilt ein einfaches Prinzip: Wer keine Zeit hat, sich im Haus zu engagieren, muss mehr bezahlen. 

Moderner Wohnraum gefragt 

Immobilienberater Bölting geht davon aus, dass die Nachfrage nach altersgerechtem Wohnraum aufgrund des demographischen Wandels weiter steigen wird. Eine Untersuchung seines Instituts habe gezeigt, dass allein in Essen 200.000 altersgerechte Wohnungen fehlen. Er geht davon aus, dass sich die Zahlen auf andere Städte der Region in etwa übertragen lassen. 

Immobilienentwickler stoßen an der Ruhr auch deshalb auf mehr Nachfrage nach modernen Wohnungen, weil eine neue Mittelschicht entsteht. „Das traditionelle Arbeitermilieu stirbt aus“, sagt Bölting. Unternehmen aus der Technologiebranche locken gut ausgebildete Mitarbeiter, die hochwertigen Wohnraum suchen – nicht nur zur Miete. Als Käufer profitieren sie ganz klar von einem Standortvorteil. Denn die Preise für Wohnimmobilien in der Metropole Ruhr sind noch vergleichsweise moderat. So stuft auch der aktuelle Wohnatlas der Postbank das Ruhrgebiet als attraktive Region für den Eigenheimkauf ein: In 13 von 15 untersuchten Kommunen lohnt demnach Kaufen mehr als Mieten. 

Wer am gewünschten Ort die gesuchte Immobilie nicht mehr findet, kann in eine benachbarte Stadt ausweichen, ohne lange Wege in Kauf nehmen zu müssen.
Torsten Bölting, Geschäftsführer des Bochumer Immobilieninstituts InWis

Deutschlands zweitgrößter Markt für Büroflächen 

In den meisten Fällen kombinieren Entwickler Flächen zum Wohnen und Arbeiten. Das entspricht zum einen dem Zeitgeist, zum anderen ist der Markt für Büro­immobilien besonders interessant. Mit einem Bestand von 16,8 Millionen Quadrat­metern Fläche war die Metropole Ruhr Ende 2017 nach Berlin der zweitgrößte Markt für Büroflächen in Deutschland. Im selben Jahr wurden 470.000 Quadratmeter Fläche verkauft oder vermietet – mehr als in Stuttgart, Köln oder Düsseldorf. Zwar sind die Büromieten nicht so hoch wie in München oder Hamburg. In den Spitzen­lagen von Essen, Dortmund und Duisburg liegen sie dennoch bereits bei 13,70 Euro pro Quadratmeter, was gesunde Renditen verspricht. 
 
Große Büroimmobilien entstehen derzeit in vielen Städten des Ruhrgebiets – in Oberhausen zum Beispiel baut ein anderer Investor auf dem ehemaligen Areal des Energiedienstleisters Babcock Borsig Steinmüller einen Standort mit Flächen für Büros, Gewerbe und Handwerk. Das „Quartier 231“ bietet große Flächen für Unternehmen, Räume für Co-Working, voll ausgestattete Einzelbüros und reine Schreibtischplätze. Auch auf dem „MARK 51°7“-Gelände des geschlossenen Opel-Werkes in Bochum werden Ende 2019 wieder 1.500 Menschen arbeiten können. Alle Gewerbeflächen im ersten Bauabschnitt wurden bereits an namhafte Investoren verkauft oder sind reserviert. 

Partnersuche im Internet 

Nicht immer sind ehemalige Industrieflächen in der Metropole Ruhr so bekannt wie das alte Opel-Werk. Für Investoren ist es daher wichtig, die richtigen Standorte in der 4.435 Quadratkilometer großen Region zu finden. Um für sie Transparenz zu schaffen, bietet das Start-up Brownfield 24 eine Webplattform, auf der sich die Branche vernetzen kann, um freie Flächen zu handeln oder Informationen zu tauschen. 

Eine der ersten Erfolgsgeschichten von Brownfield 24 spielt auf dem Gelände des ehemaligen Sägewerkes Glunz in Duisburg. Über die Internetplattform haben sich mehrere Partner gefunden, die dort den Grundstein für den „Gewerbepark Duisburg“ gelegt haben. Mittlerweile hat sich die VCK Logistics SCS Projects GmbH dort angesiedelt. Aber das Start-up hat noch ein weiteres Projekt in die Spur gesetzt: Das ehemalige Kohlekraftwerk Knepper bei Castrop-Rauxel wird abgerissen und bald sollen auch hier neue Gebäude stehen – wie auf vielen anderen Industrieflächen der Metropole Ruhr. 

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