So überwindet digitale Kommunikation Grenzen

Digitale Kommunikation ist eine Querschnittstechnologie: Sie hinterlässt in praktisch jedem Wirtschaftszweig ihre Spuren. Laut  Branchenverband Bitkom vereint die Metropole Ruhr rund elf Prozent des bundesweiten Marktvolumens im Bereich Software und IT-Services auf sich. 

All inclusive auf Ibiza, last minute nach Mexiko, Luxus in Dubai – Urlaubsguru.de verspricht große Ziele zum kleinen Preis. Der Online-Reisemarkt, der einschlägige Websites wie Holidaycheck, Momondo oder Travelbird nach Pauschalreisen, Flügen und Hotels durchsucht, gehört mit mehr als sieben Millionen Facebook-Fans und monatlich 22 Millionen Seitenaufrufen zu den führenden Reiseportalen in Deutschland. Angefangen hat Urlaubsguru.de im Sommer 2012 als Blog, in dem die Schulfreunde Daniel Krahn und Daniel Marx über günstige Urlaubsangebote schrieben.

Heute beschäftigt ihr Start-up Uniq knapp 200 Mitarbeiter in Holzwickede und Unna. Ihr Job ist es, „die besten Deals“ aus dem Internet zu fischen und an Sonnenhungrige, Backpacker und Bildungstouristen zu vermitteln. Online-Magazine und Apps runden den Service ab und für spezielle Zielgruppen sind eigene Portale entstanden unter den Marken Captain Kreuzfahrt, FashionFee, Prinz Sportlich und Mein Haustier. Durch seine Erfolgsgeschichte ist Uniq inzwischen eine Art digitales Vorzeige-Unternehmen geworden, was Daniel Krahn bereits eine Berufung in den Senat der Wirtschaft eingetragen hat, der Politik und Wirtschaft als Impulsgeber zur Seite steht.

Dass Krahn und Marx, beide Kinder des Ruhrgebiets, ihr erstes Büro in einer Altbauwohnung in Unna-Königsborn einrichteten, hatte nicht allein mit Heimatverbundenheit zu tun. „Die Metropolregion Ruhr ist quasi die Stadt der Städte – mehr als 50 Städte, Millionen Einwohner und ein riesiges Potenzial“, begründen sie ihre Standortentscheidung. „Hier gibt es eines der besten Uni-Netze in ganz Europa, dessen Dichte und Qualität nahezu einmalig ist.“ Ebenfalls dicht gewoben sei das Start-up-Netz, das jungen Unternehmern regen Austausch biete sowie die eine oder andere Hilfestellung. „Außerdem ist das Mietniveau hier viel niedriger als in manch anderer Großstadt, während sich die Infrastruktur nicht hinter Großstädten wie Berlin verstecken muss.“

Shopping Mall im Smartphone

Ohne den Boom digitaler Technologien, die jedes Smartphone zur Shopping Mall machen, wäre der Erfolg von Uniq nicht möglich gewesen. Kommunikations- und Analysesoftware, Datenbanklösungen und IT-Sicherheitstechnik bilden das Fundament für soziale Medien, E-Commerce und andere Dienstleistungen im Internet. Die Hersteller und kommerziellen Anwender solcher Technologien sind im Leitmarkt Digitale Kommunikation vereint, der in der Metropole Ruhr 52.150 Beschäftigte zählt und 2017 noch einmal um 1.820 Beschäftigte oder 3,6 Prozent wuchs. Davon gehen allein 1.720 neue Stellen auf den Teilmarkt Datenverarbeitungsdienstleistungen und Software zurück, der mit 60 Prozent den größten Anteil am Umsatz des Leitmarktes hat. Auf Platz zwei liegen benachbarte Dienstleistungen rund um Handel, Reparatur und Infrastrukturen mit 25 Prozent.

Auch die Zahl der Unternehmen im Leitmarkt Digitale Kommunikation stieg 2017 um 1,2 Prozent auf 6.276. Besonders viele Gründungen verzeichneten die benachbarten Dienstleistungen der digitalen Wirtschaft, also Handel, Reparatur und Infrastrukturen. Hier wurden mit 8,8 Prozent auch die größten Umsatzgewinne erzielt. Insgesamt betrug der Umsatz dieses Leitmarkts 6,71 Milliarden Euro, was 2017 einen Zuwachs von sechs Prozent bedeutete. Damit vereint die Metropole Ruhr nach Zahlen des Branchenverbands Bitkom rund elf Prozent des bundesweiten Marktvolumens im Bereich Software und IT-Services auf sich.

Anschub für Old und New Economy

Als Querschnittstechnologie hinterlässt die digitale Kommunikation in praktisch jedem Wirtschaftszweig ihre Spuren – vom Handel über die Bildung bis zum Automobilmarkt. Das bringt sowohl Chancen als auch Risiken: „Digitalisierung erzeugt bei bestehenden Unternehmen die Gefahr, dass ihre Geschäftsmodelle ‚auslaufen‘, und bei Start-ups die Chance, sich mit einem digitalen Geschäftsmodell zu etablieren“, sagt Andreas Liening, Professor an der Technischen Universität Dortmund. „Wenn beide die Möglichkeiten der Digitalisierung mit den Ressourcen verbinden, die ihnen zur Verfügung stehen, können sie gemeinsam digitale Geschäftsmodelle aufbauen und so die Metropolregion Ruhr zum Vorreiter der Digitalisierung machen.“

Wie das funktioniert, zeigt sich in Dortmund, mit über 1.000 Digitalunternehmen und 14.000 Beschäftigten in der Branche ein digitales Oberzentrum der Region. Denn die Technische Universität und das Technologiezentrum Dortmund haben sich als Keimzelle für Start-ups bewährt. Ein Beispiel dafür ist Logarithmo, ein Unternehmen, das analytische Software für Unternehmen in der Energie- und Logistikbranche entwickelt – zum Beispiel um verschiedene Ladestrategien für Elektrofahrzeuge zu simulieren. Die drei Logarithmo-Gründer haben an der TU Dortmund studiert oder promoviert. „Für unsere Standortwahl war insbesondere die Nähe zu den Industriekonzernen hier im Ruhrgebiet von Bedeutung“, sagt Mitgründer und Geschäftsführer Dr. Felix Friemann. „Führende Universitäten, eine gewisse Macher-Mentalität und natürlich eine gute Currywurst sind weitere positive Standortkriterien.“

Auch die Stadt selbst treibt ihre Digitalisierung voran. Der Masterplan „Digitales Dortmund“ soll helfen, Behörden besser zu vernetzen – und manches Alltagsproblem zu lösen. Beispiel Parkplatznot: Per App könnten Autofahrer private Stellplätze buchen, die leer stehen, während ihre Inhaber zur Arbeit sind. Schon heute gilt Dortmund als „Smart City“. Deren Aushängeschild ist das 2018 eröffnete „Chief Information/Innovation Office“ (CIO), eine Art Leitstand der Digitalisierung. CIO-Leiter Dr. Jan Fritz Rettberg will dieses Profil weiter schärfen. „Dabei werden wir uns sowohl auf die Gesamtstadt als auch auf verwaltungsinterne Prozesse fokussieren und die internationale Zusammenarbeit mit Smart Cities ausweiten.“

Szenetreff und Ideenbörse

Ein Baustein in dieser Strategie sind die „BARsessions“, Digitalkonferenzen, die alle zwei Monate im Westfalenpark stattfinden. Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler kommen hier zusammen, um Neuigkeiten rund um Social Media, Online-Marketing und E-Commerce auszutauschen. Auf die „Newsspots“ folgt ein 60-minütiger Vortrag über ein aktuelles Thema wie Abmahnfallen oder Facebook-Optimierung. Zum Abschluss können sich die Teilnehmer an Expertentischen persönlich beraten lassen. Der Veranstalter, die Business Academy Ruhr, von deren Kürzel #BARuhr sich der Name der Konferenzreihe ableitet, kooperiert mit der Wirtschaftsförderung Dortmund und mehreren Industrie- und Handelskammern.

Jährliche Formate wie „#diwido – Digitale Woche Dortmund“ oder „koks.digital – Konferenz für digitales Marketing in Bochum“ sind Szenetreff und Ideenbörse zugleich. Die enge Vernetzung fördert auch lokale Spezialisierungen wie in Mülheim an der Ruhr: Die in einer ehemaligen Maschinenfabrik ansässige „Games Factory Ruhr“ hat sich zu einem Kompetenzzentrum für die Gamesbranche entwickelt, das mittlerweile Kreativpotenzial aus ganz NRW anzieht. Spieleentwickler und Zulieferer der Spieleproduktion können hier auf drei Etagen Büro- und Lagerflächen mieten – nicht nur um neue virtuelle Welten zu kreieren, sondern auch um unter dem Stichwort Gamification Elemente aus Computerspielen für Produkte im Bildungs- und Gesundheitswesen zu nutzen.

„Cross-sektoral“ zu denken und zu arbeiten, zeichnet die Akteure im Leitmarkt Digitale Kommunikation aus. Professor Oliver Koch, Experte für E-Health und Smart Living an der Hochschule Ruhr West in Bottrop, sieht darin eine besondere Chance für die Metropolregion. „Digitalisierung verändert Geschäftsmodelle und lässt neue Märkte entstehen. So können beispielsweise smarte Produkte und Services die Effizienz steigern, die Individualität erhöhen und zu mehr Mobilität und Flexibilität führen“, sagt er. „Die Digitalisierung und Vernetzung der Metropolregion Ruhr bietet große Chancen in Hinblick auf die Attraktivität von Arbeitsplätzen und Aufgaben. Das ist wichtig im Kontext der Fachkräftegewinnung und Weiterbildung.“

Abzweigung in die analoge Welt

Doch Digitalisierung ist keine Einbahnstraße. Es gibt Abzweigungen in die analoge Welt, wie Urlaubsguru.de festgestellt hat. 2017 stieg das Reiseportal auch ins Offline-Geschäft ein, indem es in der Innenstadt von Unna einen Urlaubsguru-Store eröffnete. „Kein typisches Reisebüro“, versichern die Gründer Krahn und Marx: „Wir bieten lange Öffnungszeiten bis 21 Uhr, haben verstaubte Reisekataloge gegen Touchscreen-Monitore und VR-Brillen ausgetauscht und können objektiv bei der Reisesuche helfen, da wir an keinen Reiseveranstalter gebunden sind.“ Der Store funktioniert als Kundenbindungsinstrument – wer die kostenlose Beratung wahrnimmt, kann seine Reise direkt vor Ort oder zu Hause am PC buchen. Für Krahn und Marx war der Store eine Gewissensentscheidung: „Wir sind der Inbegriff eines Digitalunternehmens. Das hat sich mit dem ersten Urlaubsguru-Store geändert.“ Offenbar erfolgreich – Ende 2018 soll der zweite Store in Münster eröffnen.

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