Was den Gesundheitssektor zum größten Arbeitgeber im Ruhrgebiet macht

Der Gesundheitsmarkt ist der größte Arbeitgeber in der Metropole Ruhr – und trägt mit einem Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt der Region bei.

Mit rund 30 Milliarden Euro trägt die Gesundheitswirtschaft ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt der Metropole Ruhr bei. Jährliche Wachstumsraten zwischen zwei und sechs Prozent haben die Branche seit 2007 zum größten Arbeitgeber und zur Triebfeder des Strukturwandels in der Region gemacht. Die höchste Klinikdichte Deutschlands, zahlreiche medizinische Hochschulen und eine lebendige Start-up-Szene geben stetig neue Impulse.

Wenn sich eine Großfamilie aus Dubai oder ein Scheich aus der arabischen Welt in einem Essener Klinikum auf einer ganzen Etage einquartiert, dann gehört das sicherlich auch hier nicht zu den Alltäglichkeiten. Aber es gehört durchaus zum Konzept. Denn derartiger Medizintourismus ist ein wichtiges wirtschaftliches Standbein für die Essener Kliniken. Tausende Patienten kommen jedes Jahr aus aller Welt hier angereist, um sich behandeln zu lassen, seit 2014 hat sich ihre Zahl an allen Essener Kliniken auf rund 4.000 ungefähr verdoppelt. Allein am Universitätsklinikum Essen kommen inzwischen 40 Prozent der Patienten nicht aus der unmittelbaren Umgebung. Und so finden sich bereits auf der Internetseite des Uniklinikums Informationen auf Englisch, Arabisch und Russisch. Und Agenturen kümmern sich um die Rundumbetreuung der zahlungskräftigen Klientel, organisieren für Patienten und ihre Begleiter nicht nur Fahrdienste und Dolmetscher, sondern auch Besuche im Theater und in der Philharmonie, im Zollverein oder Grugapark.

Denn weltweit genießt das deutsche Gesundheitswesen einen exzellenten Ruf und Essen gehört mit seinen 15 Kliniken zu den Top-Medizinstandorten des Landes. Aus aller Welt kommen auch Mediziner und Forscher hier regelmäßig her, um sich über Innovationen in der Medizin und den Stand der Forschung auszutauschen. Zentrales Thema ist dabei die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Denn als erstes „Smart Hospital“ nutzt das Universitätsklinikum Essen nicht nur Robotik in der Chirurgie, 3D-Karten vom Herzen und Künstliche Intelligenz in der Tumorerkennung, sondern ist auf diesen Gebieten auch Taktgeber in der Forschung.

Künstliche Intelligenz treibt Wachstum voran

Das strahlt auch ab auf die ganze Region. So ist mit deutlich mehr als 330.000 Beschäftigten die Gesundheitswirtschaft der stärkste Jobmotor im ganzen Ruhrgebiet. 6.688 Unternehmen in der stationären und ambulanten Versorgung, in Pharma- und Medizintechnik, in Apotheken, Krankenkassen, Sozialwesen, Pflege, Sport und Wellness erwirtschaften knapp ein Fünftel des Bruttosozialprodukts. Essen, Bochum und Bottrop – allein hier sind 42.000 Arbeitsplätze entstanden –, aber auch Gelsenkirchen, Hamm, Hattingen, Herne, Mülheim, Oberhausen und Recklinghausen bilden lokale Schwerpunkte dieses Marktes.

Die Digitalisierung benennen 89 Prozent der Experten, die die Change-Beratung Mutaree in einer Studie befragte, als eine der großen Herausforderungen im Gesundheitswesen. Dank Digitalisierung und Big Data stünden die Zeichen aber auch weiter auf Wachstum, sagt Michael Burkhart, bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland Bereichsleiter für das Gesundheitswesen und den Pharmamarkt: „Diagnosesysteme, angetrieben durch Künstliche Intelligenz, personalisierte Behandlung und die elektronische Gesundheitsakte – das sind die Trends mit riesigem Potenzial.“

Eines der innovativen Unternehmen, die stark in die Digitalisierung investieren, ist die Opta Data Gruppe in Essen. Als Erster bot Opta Data die Abrechnung für Pflegedienste, Physiotherapeuten und Sanitätshäuser an. Inzwischen ist das Unternehmen auf nahezu 2.500 Mitarbeiter angewachsen und führender Anbieter für Abrechnung, Software und Services im Gesundheitswesen.

Aber auch an den Hochschulen wird Pionierarbeit geleistet. Zum Beispiel erforscht am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum eine Arbeitsgruppe um den Chirurgen Thomas Schildhauer einen Roboteranzug, der wie eine Rüstung am Körper sitzt und Patienten mit inkompletter Querschnittlähmung einen fast natürlichen Bewegungsablauf ermöglicht. Sensoren auf der Haut erfassen dabei Nervenimpulse und leiten sie an Elektromotoren weiter, die die Gelenke des Patienten bewegen. Er „denkt“ jeden Schritt, ist also keine Marionette, die in einer Maschine steckt. Mit diesem Exoskelett, das die Übertragung von Nervensignalen zwischen Gehirn und Muskeln stimuliert, haben Ärzte außerhalb von Japan, wo das Unternehmen Cyberdyne den „Hybrid Assistive Limb“ entwickelt hat, noch nicht gearbeitet. Der Bochumer Professor ist hier Pionier – so wie die Metropole Ruhr insgesamt in der Gesundheitsbranche.

Klare Standortvorteile

Vor diesem Hintergrund bietet die Metropole Ruhr beste Voraussetzungen, um den Spagat zwischen Innovation und Kosteneffizienz zu meistern. Nirgendwo in Deutschland ist das Netz aus Kliniken, sonstigen Versorgungseinrichtungen und niedergelassenen Ärzten dichter. Die Universitäten und Fachhochschulen in Essen, Bochum, Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm, Mülheim und Witten/Herdecke lehren und forschen in einer Vielzahl von medizinischen, technischen, ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Fachrichtungen mit Bezug zur Gesundheitswirtschaft; und in Industrie, Handel und Dienstleistungssektor finden sich neben internationalen Konzernen viele innovative Medizintechnik-Start-ups.

Alles auf einem Campus

Wie eng diese Player zusammenarbeiten, zeigt MedEcon Ruhr, ein Netzwerk aus 150 Unternehmen und Einrichtungen der Klinikwirtschaft, Gesundheitsversorgung und -forschung sowie zuliefernder Branchen. Der eingetragene Verein koordiniert Projekte, etwa zur medizinischen Falldatenkommunikation oder zur Schlaganfallvorbeugung, und veranstaltet Kongresse, zum Beispiel den Radiologiekongress Ruhr.

MedEcon Ruhr hat seine Geschäftsstelle auf dem Gesundheitscampus Süd in Bochum, der auch die Hochschule für Gesundheit (HSG) mit 1.300 Studierenden beherbergt. HSG-Präsidentin Professorin Dr. Anne Friedrichs sieht in der Akademisierung und Professionalisierung der Gesundheitsberufe – die Hochschule bietet unter anderem Bachelorabschlüsse in Ergotherapie und Pflege an – einen wichtigen Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels: „Es entwickeln sich neue Berufsfelder, die dabei mithelfen werden, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung auch in Zukunft sicherzustellen.“

Weltweite Netzwerke

Der rege Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft spiegelt sich in den Karrieren prominenter Vertreter der Gesundheitsmetropole Ruhr wider. Dietrich Grönemeyer etwa, Professor und ehemaliger Inhaber des Lehrstuhls für Radiologie und Mikrotherapie der Universität Witten/Herdecke, gründete das Grönemeyer Institut für Mikrotherapie im Technologiezentrum Bochum, eine große Klinik mit Rückenzentrum, Radiologie, Kardiologie, Sportmedizin und Prostata-Zentrum, die mittlerweile auch Standorte in Berlin und Hamburg hat. In der Geschäftsführung unterstützt ihn Dr. Winfried Leßmann, der zugleich Vorstandsvorsitzender der Med-360°-Gruppe ist. Diese versorgt mit 1.540 Mitarbeitern rund 600.000 Patienten in 24 Städten, mit Leistungen in Radiologie, Strahlentherapie oder Orthopädie.

Über Forschungskooperationen strahlt die Medizinkompetenz der Metropole Ruhr auch in alle Welt. Wobei das keine Einbahnstraße ist: Die Branche zieht Fachkräfte, Studierende, Gründer und Unternehmer von weither an – ebenso wie Scheichs mit ihrer Entourage.

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