„Der Wandel ist überall spürbar.“

Tobias Nadjib ist Geschäftsführer von Volkswagen Infotainment. Die VW-Konzerntochter hat ihren Sitz in Bochum und stellt dort digitale Technologien für die neuen Fahrzeuggenerationen her. Weshalb das Ruhrgebiet dafür ein geeigneter Standort ist, welche Potenziale er in der Region sieht und was den Niedersachsen an der Metropole am meisten überrascht hat, darüber spricht Nadjib im Interview.

Herr Nadjib, wenn man über Volkswagen spricht, denkt man zunächst an den Standort Wolfsburg. Die Volkswagen Infotainment GmbH ist hundertprozentige Konzerntochter und arbeitet an smarter Technik für Autos. Was hat den Ausschlag dafür gegeben, dass Sie sich mit Ihrem Unternehmen 2014 im Ruhrgebiet angesiedelt haben?

Als Volkswagen Infotainment haben wir damals den europäischen Entwicklungsstandort von BlackBerry mit 200 Mitarbeitern übernommen. Bereits im ersten Geschäftsjahr endeten die Mietverträge und wir standen vor einer Standortentscheidung. Wir haben uns dann ganz bewusst noch einmal für den Standort Bochum entschieden und das hatte zwei vorrangige Gründe. Zum einen besteht der besondere Wert unserer Firma in den Menschen. Wir leben von der hohen Kompetenz und Motivation unserer Mitarbeiter. Mit dem damals neu aufgestellten Team konnten wir sofort in die Produktentwicklung für Volkswagen einsteigen. Alles hat von Anfang an sehr gut funktioniert. Daher wollten wir an unserem Standort in Bochum festhalten.

Ein weiterer Grund ist die ausgezeichnete Verfügbarkeit von Fachkräften. Für unser Wachstum ist der Standort Bochum mitten in der Ruhrmetropole, umgeben von der größten Hochschuldichte Deutschlands, ein ganz entscheidender Faktor. Hier finden wir tolle Kandidaten für unsere Entwicklungsarbeit. Und die Menschen in unserem Unternehmen fühlen sich hier wohl. Das Umfeld ist sehr familienfreundlich und der Wohnraum bezahlbar.

Sie selbst sind lange in Niedersachsen verwurzelt gewesen. Für Ihre Rolle als Geschäftsführer von Volkswagen Infotainment sind Sie ins Ruhrgebiet gezogen: Wie schwer oder wie leicht ist Ihnen die Umstellung gefallen?

Am Anfang war es mir gar nicht so klar, aber das Wichtigste war tatsächlich, die bestehenden Bilder, die ich vom Ruhrgebiet in meinem Kopf hatte, radikal zu korrigieren. Ich habe mich auf die Stadt Bochum, das Ruhrgebiet und vor allem auf die Menschen eingelassen. Und dann habe ich die kulturelle Vielfalt und die Macher-Mentalität erlebt. Das passt sehr gut zu mir und damit fühle ich mich echt wohl. Und das mag naiv klingen, aber eine der erstaunlichsten Erkenntnisse für mich war, dass das Ruhrgebiet viel grüner ist, als ich es erwartet habe. Auch wenn das vielleicht eine Kleinigkeit ist, hat es mir gezeigt, wie wichtig es ist, flexibel mit den eigenen Bildern im Kopf umgehen zu können.

Wie blicken Sie nach knapp sechs Jahren im Ruhrgebiet auf Ihre neue Heimat?

Heimat ist natürlich ein starkes Wort. Und tatsächlich ist das Ruhrgebiet für mich inzwischen ein Teil meiner Heimat geworden, da mich meine Zeit hier in Bochum prägt. Ich empfinde die Eindrücke und Erfahrungen, die ich hier sammele, als echte Bereicherung. Das Ruhrgebiet gehört jetzt zu mir, so wie auch Wolfsburg, Gifhorn und Braunschweig zu meiner Heimat gehört.

Hier kann aus vielen einzelnen Stärken gemeinsam eine noch größere Kraft entstehen. Und das ist genau die Art von dynamischer Metropole, in der die Menschen gern leben und arbeiten .
Tobias Nadjib, Geschäftsführer von Volkswagen Infotainment mit Sitz in Bochum

Sie haben im Jahr 2014 mit 200 Mitarbeitenden Ihre Arbeit aufgenommen. Wie viele Menschen arbeiten heute bei Volkswagen Infotainment?

Um das zu beantworten, muss ich kurz etwas ausholen. Wie Sie sicherlich wissen, liegt unsere besondere Stärke darin, zukunftsweisende, digitale Komponenten für neue Fahrzeuggenerationen von Volkswagen zu entwickeln. Unser erstes Produkt ist die „Online Connectivity Unit“, die die Fahrzeuge von Volkswagen über eine Vielzahl von mobilen Online-Diensten mit dem Internet verbindet. Damit bieten wir gemeinsam mit Volkswagen unseren Kunden ganz neue Services und Sicherheitsfunktionen.

Als wir 2014 angefangen haben, stand das Thema der Digitalisierung der Autos noch relativ am Anfang. Durch den frühen Start, den Volkswagen mit uns in Bochum angegangen ist, haben sich sehr schnell Bedarfe gezeigt, die wir bedienen können. Wir haben jetzt 600 Mitarbeiter, mit denen wir digitale Komponenten – also Software und Hardware – entwickeln. Diese technologischen Errungenschaften verwendet Volkswagen weltweit in 122 produzierenden Werken und 153 Ländern. Es macht unser Team schon sehr stolz, dass wir für Volkswagen hier in Bochum die neuesten Produkte für dieses zukunftsweisende Themenfeld entwickeln.

Welche Rolle spielt der Standort als Argument, Fachkräfte zu gewinnen?

Unser Wachstumskurs geht weiter. Als Konzerngesellschaft sind wir ein Teil der neu gegründeten car Software Organisation. Hier werden alle Entwicklungsaktivitäten für Software und Digitalisierung des Autos im Volkswagen Konzern gebündelt. Der Bedarf an neuen Technologien ist dabei unverändert hoch. Die großen Trends wie Elektrifizierung, Car-Sharing, Mobility as a Service und autonomes Fahren erfordern viele neue technologische Lösungen. Wir sind Teil dieser Lösung und wir arbeiten in einem spannenden Aufgabenfeld. Das ist hochattraktiv für unsere Fachkräfte.

Gleichzeitig sind wir mit unserem Standort Bochum im Herzen des Ruhrgebiets und damit umgeben von erstklassigen Universitäten und einem hervorragenden Forschungs- und Entwicklungsumfeld. Diese Nähe zu den internationalen Akademikern, die an den hiesigen Universitäten zu gefragten Fachkräften ausgebildet werden, ist ein entscheidender Vorteil für uns. Wir sind Volkswagen, wir sind Start-up, wir bieten tolle Aufgaben und Entfaltungsmöglichkeiten und wir sind Teil des Ruhrgebiets – wir sind von hier.

Trotzdem ist es für das Ruhrgebiet nach wie vor eine Herausforderung, die zahlreichen Absolventen, insbesondere im MINT-Bereich, vor Ort zu halten. Welche Lösung haben Sie als Volkswagen Infotainment, etwa hinsichtlich Ihrer Unternehmenskultur, dafür gefunden?

Wir sehen unsere Unternehmenskultur als echten Erfolgsfaktor. Unser Team aus 600 Mitarbeitern, zu denen noch 120 Studierende gehören, ist bunt und vielseitig. Wir haben 35 Nationen, die bei uns gemeinsam arbeiten. Wir sprechen ebenso selbstverständlich englisch wie deutsch in unseren Meetings und wir leben Kooperation. Unsere Kultur ist das, was uns zu einem Team macht.

Natürlich brauchen wir mit unserer Größenordnung auch stabile Prozesse und Strukturen. Die Höchstleistung, die unser Team immer wieder abliefert, schaffen wir durch unsere Kultur. Wir vertrauen uns, wir stehen füreinander ein, wir begreifen jedes Unternehmensziel als gemeinsames Ziel für alle und jeden in unserem Team. Das verbindet uns und damit geben wir den Menschen in unserem Unternehmen auch etwas zurück. Das führt dazu, dass wir eine sehr stabile Mannschaft sind und die Menschen gern in unserem Team bleiben.

In einer neuen Studie über das Ruhrgebiet gab es eine Unternehmerbefragung: Deutlich mehr als 70 Prozent der Unternehmen sind optimistisch, dass sich das Ruhrgebiet zu einer dynamischeren Metropole wandeln kann. Teilen Sie diesen Optimismus?

Vollkommen! Und für mich hat das nichts mit meinem persönlichen Optimismus zu tun. Ich sehe es jeden Tag. Der Wandel des Ruhrgebiets hat längst begonnen und ist überall spürbar. Wir haben hier in Bochum und im Ruhrgebiet in kurzer Zeit ein hochkarätiges Netzwerk zu Unternehmen, Unternehmern, Wissenschaftlern und Persönlichkeiten aufgebaut, die eines vereint: die vielen tollen Möglichkeiten, die das Ruhrgebiet bietet zusammenzubringen.

Hier kann aus vielen einzelnen Stärken gemeinsam eine noch größere Kraft entstehen. Und das ist genau die Art von dynamischer Metropole, in der die Menschen gern leben und arbeiten und in der wir als Unternehmen sehr erfolgreich sind.

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