"Der Adler braucht Ruhe an seinem Horst"

Der Seeadler war in Westeuropa ausgestorben. Jetzt nistet er wieder im Ruhrgebiet. Warum sich der riesige Greifvogel hier wohlfühlt, erklärt Dr. Ilka Weidig vom NaturForum des Regionalverbandes Ruhr (RVR) auf der Bislicher Insel bei Xanten.

Der Seeadler stand in Europa im 20. Jahrhundert kurz vor dem Aussterben. Schutzmaßnahmen haben dazu geführt, dass der Bestand seit Ende des vorigen Jahrhunderts wieder steigt. In Deutschland leben Seeadler heute vor allem in den Küstenregionen Mecklenburg-Vorpommerns und in seenreichen Gegenden. 2017 hat sich erstmals seit etwa 200 Jahren ein Seeadlerpaar im Ruhrgebiet niedergelassen, im Naturschutzgebiet Bislicher Insel. Die geschützte Auenlandschaft liegt im nordwestlichen Zipfel des Ruhrgebiets bei Wesel, zwischen dem Rhein und einem Altarm des Flusses.

Dr. Ilka Weidig leitet das RVR-Naturforum Bislicher Insel und weiß, warum der Seeadler zurückgekommen ist.

Frau Weidig, was macht den Seeadler so besonders?

Es ist die größte Adlerart in Europa und erreicht eine Spannweite von bis zu 2,5 Metern. Wenn der am Himmel seine Kreise zieht, ist das wirklich ein beeindruckender Anblick. Mit seinen kantigen Schwingen liegt er wie ein Brett in der Luft.

Welche Lebensbedingungen findet der Seeadler auf der Bislicher Insel vor und warum fühlt er sich dort offenbar wohl?

Die Bislicher Insel umfasst ein geschütztes Gebiet von mehr als zehn Quadratkilometern. Er findet hier, was er zum Leben braucht: Gewässer, in denen oder an denen er seine Beutetiere findet, Bäume für den Nestbau und Ruhe zum Brüten. Über die Jahrzehnte haben sich auf der Bislicher Insel viele Vogelarten niedergelassen, die der Seeadler jagen kann. Zudem gibt es viele Fische. Und wenn der Seeadler Aas findet, frisst er auch das. Das Paar findet offenbar genug Futter, denn es hat schon mehrfach Nachwuchs großgezogen.

Auf der Bislicher Insel findet der Seeadler, was er zum Leben braucht. Foto: RVR Ruhr Grün, Hachmeister
Hier gibt es Gewässer, in oder an denen der Seeadler seine Beute findet. Foto: Wolfgang Charles
Und es gibt es Bäume für den Nestbau und Ruhe zum Brüten. Foto: RVR Ruhr Grün, Hachmeister
Über die Jahrzehnte haben sich auf der Bislicher Insel viele Vogelarten niedergelassen, die der Seeadler jagen kann. Foto: RVR Ruhr Grün, Hachmeister

Lockt das Adlerpaar viele Besucher*innen an?

Durch den Vogelreichtum ist die Bislicher Insel schon lange ein Anziehungspunkt für Menschen, die gerne Vögel beobachten. Aber seitdem der Seeadler da ist, kommen noch mehr Besucherinnen und Besucher zu uns. Wir freuen uns natürlich, denn wir wollen den Menschen die Natur näher bringen. Andererseits sind große Besucherströme natürlich auch eine Herausforderung, denn der Adler braucht Ruhe an seinem Horst. Wird er während der Brutpflege gestört, kann es sein, dass er sein Nest aufgibt. Das ist bei uns leider auch schon passiert. Allerdings halten sich die allermeisten Besucher an die Regeln, bleiben auf den vorgegebenen Wegen und nutzen die Beobachtungsstationen.

Was hat sich im Ruhrgebiet geändert, dass eine Rückkehr des Seeadlers möglich war?

Der Seeadler ernährt sich ja vor allem von Tieren, die am oder im Wasser leben. Ist das Wasser verunreinigt, zum Beispiel durch industrielle Abwässer oder Insektengifte, nimmt der Adler diese Schadstoffe über seine Beutetiere auf. Eine große Bedrohung für den Seeadler war zum Beispiel das Insektengift DDT. Es führte dazu, dass die Schalen der Adlereier brüchig wurden. Schon beim Brüten gingen viele Eier verloren und der Seeadler wäre dadurch beinahe ausgestorben. DDT wurde Anfang der 1970er-Jahre verboten und immer weniger Industrieabwässer gelangen in die Flüsse, sodass sich die Wasserqualität deutlich verbessert hat. Bei uns kommt hinzu, dass die an das Naturschutzgebiet angrenzenden Landwirtschaftsflächen extensiv genutzt werden, so dass von dort kaum Dünge- oder Pflanzenschutzmittel unmittelbar in die Gewässer gelangen.

Erwarten Sie, dass der Seeadler auch an andere Stellen des Ruhrgebiets zurückkehrt?

Das ist schwer vorhersehbar. Im Prinzip kann sich der Seeadler überall dort ansiedeln, wo er genug Wasser, Beutetiere und einen ruhigen Nistplatz findet. Wenn wir die Anstrengungen für mehr Umweltschutz fortsetzen, wird es mehr Gegenden geben, wo diese Bedingungen erfüllt sind. Die größte Sorge bereitet uns derzeit das Insektensterben. Denn viele Beutetiere des Seeadlers ernähren sich überwiegend von Insekten. Gehen die Insektenbestände zurück, sinkt auch die Zahl der Fische und Vögel, von denen sich der Seeadler ernähren kann. Beim Umweltschutz müssen wir die gesamte Nahrungskette im Blick behalten.

Mehr Infos zur Tier – und Pflanzenwelt und zum RVR-NaturForum Bislicher Insel gibt es hier:

www.bislicher-insel.rvr.ruhr

Overlay schliessen