Auf dem Weg zur Smarten Metropole Ruhr

Die bee smart city GmbH in Mülheim an der Ruhr unterstützt Städte bei der Entwicklung von Smart-City-Strategien und vernetzt sie weltweit. Geschäftsführer Thomas Müller spricht im Interview darüber, wie gut die Metropole Ruhr durch ihre Erfahrungen mit Strukturwandel auf die nächste Transformation zur smarten Region vorbereitet ist.

Thomas Müller hat die Plattform bee smart city im Mai 2017 gemeinsam mit Bart Gorynski und Alexander Gelsin gegründet. Die bee smart city GmbH verbindet mehr als 15.000 Mitglieder aus mehr als 170 Ländern miteinander, die in Kommunen, Unternehmen oder Start-ups smarte Lösungen planen, erarbeiten und umsetzen. Die Plattform dient dem Wissenstransfer, der Vernetzung und dem Austausch dieser Akteure.

Herr Müller, was macht eigentlich eine Stadt zur Smart City?

Wir verstehen das Konzept der Smart City als die Fähigkeit einer Stadt, mit intelligenten Lösungen und Prozessen die Lebensqualität und die Prosperität für alle Menschen in der Stadt nachhaltig zu steigern.

Smart wird oft gleichgesetzt mit Technologie. Aber mit Technologie allein ist es nicht getan. Viel wichtiger als die Technologie ist der intelligente Prozess, mit dem ich meine Kunden erreiche – den Bürger, Unternehmen oder wen auch immer ich als Stadt ansprechen will. Wenn eine Stadt beispielsweise 30.000 Sensoren verbaut und sich als Smart City feiert, dann ist das weit gefehlt. Der entscheidende Schritt ist, dass die Daten in die Anwendung kommen und positive Effekte für die Menschen in der Stadt in Hinblick auf Lebensqualität und Teilhabe erzielen.

Auf welchen Ebenen gibt es denn Möglichkeiten, eine Stadt smarter zu machen?

Wir unterscheiden neben stadtweiten Projekten gern drei weitere räumliche Ebenen in einer Stadt: die eigenen vier Wände, die Gebäude und das Quartier. Das Smart Home als kleinste Ebene ist in Deutschland noch nicht so ausgeprägt. Für Städte ist aber die nächste Ebene der Gebäude relevant. Denn keine Stadt wird die Nachhaltigkeitsziele erreichen, wenn sie ihren Gebäudebestand nicht hinsichtlich Umwelt- und Ressourceneffizienz mit intelligenten Lösungen optimiert. Auf Ebene der Quartiere passieren der soziale Austausch und die ökonomische Interaktion. Da greifen viele smarte Lösungen: von der Mobilität bis hin zu digitalen Maßnahmen, die etwa öffentliche Sauberkeit oder Sicherheit verbessern.

Thematisch gibt es da keine Grenzen. Der Einsatz von modernen Prozessen geht durch alle Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge – ob Wirtschaft, Verwaltungsdienstleistung, Mobilität, Umwelt oder Soziales. Alle Bereiche sind betroffen. Deswegen ist uns wichtig: Smart City muss ein ganzheitlicher Ansatz sein, weil man überall Potenziale heben kann und die Stadt für die jeweiligen Akteure der Stadtgesellschaft verbessern kann.

Unser Wunsch ist es, dass die Städte das Thema Smart City nicht als Modewort oder als reines Digitalisierungsthema begreifen, sondern als Auseinandersetzung mit der integrierten Stadtentwicklung der Zukunft.
Thomas Müller, Managing Partner der bee smart city GmbH

Stichwort Nachhaltigkeit: Haben industriell geprägte Städte wie im Ruhrgebiet besondere Herausforderungen auf dem Weg zur Smart City zu meistern?

Das kann man so oder so sehen. Auf der einen Seite haben wir hier besondere Umweltherausforderungen: Durch das Wachstum der Montanindustrie sind wir zu dem Ballungsraum geworden, der wir heute sind. Das hat zu Problemen geführt, die wir noch heute merken, zum Beispiel bei den Themen Mobilität und Luftqualität. Diese Herausforderungen haben andere Ballungsräume aber auch.

Auf der anderen Seite haben wir uns frühzeitig mit den Umweltproblematiken auseinandergesetzt und eine erfolgreiche Greentech-Industrie im Ruhrgebiet entwickelt, die Problemlösungen anbietet und als Exportschlager auch für andere Regionen sehr hilfreich ist. Von daher würde ich dem Ruhrgebiet bei Umweltschutzlösungen oder der Klimafolgenanpassung eine Vorreiterrolle zuschreiben.

Wie ist Ihr Eindruck von den Städten in der Metropole Ruhr: Wie sehr sind sie schon von smarten Lösungen durchdrungen?

Man kann durchaus unterschiedliche Geschwindigkeiten im Ruhrgebiet feststellen. Bundesweit haben die großen Städte das Thema Smart City zuerst aufgegriffen. Im Ruhrgebiet haben wir mit Dortmund, Gelsenkirchen und Duisburg drei Städte, die sich dem Thema als Vorreiter angenommen haben. Bottrop hat als Innovation City sowieso schon seit Jahren eine starke Rolle. Die anderen großen Städte sind alle in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Es gibt jedenfalls keine Stadt, auch keine kreisangehörige Stadt, die sich nicht mit dem Thema beschäftigt.

Was machen denn die großen Städte wie Gelsenkirchen besonders gut?

Die Stadt Gelsenkirchen hat es als kommunale Aufgabe verstanden, dass sowohl öffentliche Einrichtungen als auch die Menschen in der Stadt den Zugang zu digitaler Infrastruktur haben. Das kann eine Stadt dann besonders gut steuern, wenn sie kritische Bereiche dieser Infrastruktur in ihrer eigenen Hoheit hat. Dafür hat Gelsenkirchen gesorgt. Sie besitzen beispielsweise alle Laternenpfähle, die als Träger von IT-Infrastruktur genutzt werden können, sie haben öffentliches WLAN ausgebaut und besitzen ihr eigenes stadtweites Glasfasernetz. Damit war es auch die erste Stadt im Ruhrgebiet, die alle Schulen mit Breitband ausgestattet hatte.

Andere Städte sagen, das ist für sie nicht wirtschaftlich und verlassen sich auf die Netzbetreiber. Da sind viele Städte im Ruhrgebiet zwar gut aufgestellt, das schließt aber oft Gewerbegebiete oder den ländlichen Raum nicht mit ein. Deswegen ist eine Entscheidung, ob man das in eigener Hoheit macht oder nicht, sehr wichtig.

Gelsenkirchen ist ein gutes Beispiel dafür, dass intelligente Entscheidungen die Weichen für die zukünftige Entwicklung stellen können. Die Stadt hat die digitale Organisationsentwicklung und Stadtentwicklung frühzeitig in einer eigenen Abteilung strukturiert und nun hervorragende Ausgangsbedingungen. Deswegen ist sie als Modellregion NRW und auch Modellprojekt Smart Cities des Bundes ganz vorn an der Speerspitze mit dabei, viele Smart-City-Themen anzugehen.

Sie haben die ländlichen Regionen schon angesprochen. Die gibt es neben den vielen Städten in der Metropole Ruhr auch. Inwieweit schließt der Smart-City-Gedanke auch diese peripheren Regionen ein?

Das moderne Smart-City-Verständnis macht keinen Unterschied zwischen urbanen oder ländlichen Räumen. Wie schon gesagt: Am Ende geht es darum, mit intelligenten Prozessen und Lösungen für Mehrwerte zu sorgen. Da ist es völlig egal, wie groß die Stadt ist. Das gilt für kleinere Gemeinden wie Kamp-Lintfort oder Sonsbeck genauso. Gerade im ländlichen Raum haben wir aber besondere Herausforderungen, beispielsweise das Thema Gesundheitsvorsorge. Die Ärztedichte ist im ländlichen Raum sehr gering. Zwar gibt es im Kern genug Pflegekräfte vor Ort, aber nicht immer unbedingt die Spezialisten. Digitale Lösungen können das im Bereich Smart Health effizienter auffangen – etwa über Tele-Health und entsprechende Video-Diagnosen. Eine andere Idee sind Mobilangebote wie der Medibus, um die Infrastruktur vor Ort anbieten zu können. Da gibt es durchaus viele Ansätze, die den Bedingungen im ländlichen Raum Rechnung tragen.

Sie beraten Städte, die eine digitale Agenda verfolgen, und bieten eine digitale globale Austauschplattform. Was bedeutet es für Sie, diese Koordinationsfunktion aus der Metropole Ruhr heraus zu übernehmen?

Wir Gründer kommen alle drei aus dem Ruhrgebiet. Von daher lag es nahe, in unserer Heimat das Unternehmen zu gründen. Grundsätzlich sind wir in einer Region, die ein Paradebeispiel für die urbane Transformation ist. Durch den Strukturwandel von der Montanregion zur heutigen wissenbasierten Wirtschaftsregion haben wir viele wertvolle Erfahrungen gesammelt. Strukturwandel ist jedoch nie abgeschlossen, daher müssen wir jetzt die Chancen, die mit der Digitalisierung einhergehen, proaktiv aufgreifen. Hier ist die Metropole Ruhr ein hervorragender Innovationsraum, der ein riesiges Potenzial vor sich hat. Das aus der Metropole Ruhr heraus mit begleiten zu können, ist für uns sehr spannend.

Zudem haben wir hier natürlich auch eine optimale Position. Egal ob wir innerhalb Europas das Wissen verbreiten oder weltweit: Von hier aus kommen wir überall schnell hin. Wir haben hier optimale Rahmenbedingungen, fühlen uns in der „Stadt der Städte“ zuhause und unterstützen gerne die Städte in der Metropole Ruhr bei ihrer Smart-City-Reise.

Welches Projekt aus dem Smart-City-Bereich hier vor Ort würden Sie besonders hervorheben?

Ich glaube, es geht gar nicht so sehr um die Projekte an sich. Denn Projekte gibt es wie Sand am Meer. Das Problem ist, dass es in einer Stadt nicht 100 Projekte geben sollte, die als Insel-Lösungen für sich alleinstehen. Wir brauchen lokal und auch regional integrierte intersektorale Projekte, um Synergien zu heben und Probleme zielorientiert zu lösen. Da sind die Städte gefordert sowohl in der eigenen Verwaltung als auch über Stadtgrenzen hinaus kollaborativer zu denken.

Unser Wunsch ist es, dass die Städte das Thema Smart City nicht als Modewort oder als reines Digitalisierungsthema begreifen, sondern als Auseinandersetzung mit der integrierten Stadtentwicklung der Zukunft, die dem Spannungsfeld aus Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft ausgleichsorientiert unter Einbeziehung des Digitalen Rechnung trägt. Nur so werden wir die Lebensqualität, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Wirtschaftskraft in unserer Region nachhaltig stärken und die großen Zukunftspotenziale ausspielen können.

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