Sarah Dungs gehört zu einer neuen Generation von Führungskräften in der Immobilienwirtschaft. Im Interview erzählt sie, warum das Ruhrgebiet ein guter Standort für Bestandsimmobilien ist und weshalb ihr bei ihrer Karriere auch Erfahrungen im Leistungssport halfen.
Mit 25 Jahren Geschäftsführerin, mit 29 Jahren Vorstandsvorsitzende eines Verbandes: Sarah Dungs hat früh eine beeindruckende Karriere hingelegt. Die Geschäftsführerin des Essener Immobilienunternehmens Greyfield Group ist überzeugt, dass unternehmerisches Handeln nicht von Alter, Geschlecht oder Position abhängt. Mutig und selbstbewusst geht sie neue Wege und treibt den Wandel in der männerdominierten Baubranche voran. Ihr Durchhaltevermögen verdankt sie nicht zuletzt ihrer Zeit im Spitzensport. Sie spielte mehrere Jahre Feldhockey in der Bundesliga. Vor kurzem hat sie den Verband für Bauen im Bestand e.V. mitgegründet.
Ich bin sehr immobilienaffin aufgewachsen, hatte schon früh meinen ersten Werkzeugkoffer und habe immer gerne gewerkelt. Mir war schnell klar, dass ich etwas mit Immobilien studieren möchte. Gleichzeitig wollte ich einen wandelbaren Beruf, in dem man etwas Neues schaffen kann. Deshalb habe ich in Dortmund Stadt- und Raumplanung studiert. Besonders das Modul Immobilienprojektentwicklung hat mich begeistert. 2016 habe ich als Werkstudentin bei der Greyfield Group angefangen. Spätestens da habe ich mein Herz an die abgerockten Immobilien verloren.
Bauen im Bestand ist ein wesentlicher Schlüssel, um die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung zu erreichen. Mit Bestand kann man aber auch Individualität schaffen. Denn niemand will Schema F, jeder will etwas Individuelles – und das können wir mit alten Immobilien ermöglichen. Aber Bauen im Bestand ist nicht einfach. Man wird mit Herausforderungen und Problemen konfrontiert, die nicht vorhersehbar sind. Diese Probleme muss man lieben und lösen wollen. Dazu braucht man einen langen Atem.
Immobilienentwicklung funktioniert nur, wenn es Menschen gibt, die diese Immobilien auch nutzen können. Und im Ruhrgebiet gibt es sehr viele Menschen. Wir haben in den letzten Jahren ein "Höher, Schneller, Weiter" in der Immobilienbranche gelebt. Dabei gibt es immer auch Verlierer*innen – und aktuell verliert unser Planet. Das Ruhrgebiet hat erkannt, dass es so nicht weitergehen kann und ist aus der Historie transformationsgeübt. Mit den Bestandsimmobilien haben wir die Chance, die Versäumnisse der letzten Jahre aufzuholen und zu zeigen, was möglich ist und wie wir der Verantwortung ökologisch, ökonomisch und sozial gerecht werden können.
In meinem Berufsalltag ziehe ich viel aus dem Sport. Ich habe jahrelang Feldhockey in der Bundesliga gespielt. Dabei habe ich gelernt, dass es hilft, sich auf ein Thema zu fokussieren, wenn man sehr gut darin sein will. Es gibt viele Immobilienverbände, die gute Arbeit leisten. Aber keiner hat sich bisher so richtig auf das Bauen im Bestand konzentriert.
Wir haben den Verband gegründet, um dem Bauen im Bestand eine Stimme zu geben und die Transformation der Immobilienwirtschaft voranzutreiben. Es gibt viele Herausforderungen im Bestand. Der Verband soll die Dinge vereinfachen und Lösungen anbieten. Aktuell arbeiten wir zum Beispiel an einem Risikomanagement für Bestandsimmobilien. Unsere Vision ist eine Immobilienbranche, die ihrer Verantwortung gerecht wird – ökologisch, ökonomisch und sozial.
Wir haben uns nicht hingesetzt und explizit gesagt, wir müssen alles anders machen und den Vorstand nur mit Frauen besetzen. Wir haben einfach geschaut, welche Kompetenzen wir brauchen. Es gibt vier Themenbereiche – Bauen im Bestand, Zirkuläres Bauen, Baukultur & Governance und Forschen, Lehren, Ausbilden – und die konnten wir eben wunderbar mit vier Frauen besetzen.
Da hinken wir definitiv hinterher. Auf vielen Veranstaltungen bin ich eine der wenigen Frauen. Da gibt es immer wieder mal unangenehme Situationen und unqualifiziertes Feedback. Bei negativen Rückmeldungen an mich persönlich frage ich mich immer: Hätte ein Mann dasselbe Feedback bekommen? Wenn das nicht der Fall ist, hake ich das Thema ab. Das ist wie beim Hockey. Wenn du das Spiel verlierst, weil der Schiedsrichter eine falsche Entscheidung getroffen hat, dann bringt es auch nichts, sich noch lange damit zu beschäftigen. Abhaken und weiterkämpfen.
Grundsätzlich bin ich aber positiv gestimmt. Wir sind auf einem guten Weg und es gibt immer mehr positive Beispiele. Dazu braucht es Männer, die uns machen lassen und gemeinsam mit uns auf Augenhöhe kommunizieren und agieren. Grundsätzlich sollte es doch immer um das Wohl des Unternehmens oder des Verbandes gehen und nicht um Alter oder Geschlecht. Das ist für beide Geschlechter nicht immer leicht und es braucht vor allem Selbstbewusstsein.
Als ich einstieg, war das Unternehmen noch in den Kinderschuhen. Ich war eine der ersten Mitarbeiter*innen, die in der Projektentwicklung fest angestellt wurden und trug somit von Anfang an viel Verantwortung. Ins kalte Wasser geschmissen zu werden formt die Persönlichkeit – und ich habe schnell schwimmen gelernt. So kam es auch dazu, dass wir seinerzeit jemanden für die Leitung der Finanzabteilung gesucht haben und ich war mutig genug zu sagen "Ich mach das und arbeite mich komplett in das Thema ein". Klingt zunächst komisch, weil ich diesen Fachbereich nicht studiert habe, aber man kann jederzeit eine neue Sportart lernen, wenn man nur genug trainiert und die richtigen Trainer an seiner Seite hat. Entscheidend ist am Ende nur die Performance auf dem Platz und nicht der Lebenslauf. Das ist auch heute noch einer der Kernwerte der Greyfield DNA. Wir geben dem Team unabhängig von Alter, Geschlecht, Lebenslauf oder Position die hundertprozentige Verantwortung für Aufgaben oder Aufgabenpakete, wenn die Performance beim Training stimmt. Wir wissen, dass wir mit dieser Art der Führung anders sind, aber wir sind überzeugt, für uns den richtigen Weg gefunden zu haben.
Im Sport habe ich gelernt, mutig zu sein und für meine Rechte einzustehen. Es gibt einen Zeitungsartikel der WAZ aus dem Jahr 2002, da war ich sieben Jahre alt. Die Zeitung titelte "Ganz schön ehrgeizig dieses junge Hockeytalent, welches sich in die Herzen der Eltern schießt". Ich bin mir sicher, dass ich mich nicht immer in die Herzen geschossen habe. Ich war ein sehr verantwortungsbewusstes Kind, das sich sein Mitspracherecht aktiv eingefordert hat. Meine Trainer haben mich immer ermutigt und gesagt: Sarah, du hast jedes Recht, den Mund aufzumachen, solange du auf dem Platz deine Leistung bringst. Performance und Verantwortung hängen nun mal zusammen. Das setze ich auch in meinem Beruf um. Wenn ich Verantwortung trage und meine Leistung bringe, ist es auch meine Pflicht, meine Meinung zu vertreten. Dabei schließen vor allem wir Frauen uns nicht in die Herzen der Branche, aber auch wir dürfen unbequem sein, wenn die Performance stimmt.
Sarah Dungs ist Geschäftsführerin der Greyfield Group und Vorstandsvorsitzende des Verbands für Bauen im Bestand e.V. Seit ihrem dritten Lebensjahr treibt sie Sport und spielte mehrere Jahre Feldhockey in der Bundesliga.
Foto Header: Julius Gnoth. Foto "Zur Person": Catrin Moritz