Wie digitales Lernen gelingen kann

Schulen, Universitäten, Hochschulen: Sämtliche Bildungseinrichtungen mussten aufgrund der Corona-Pandemie von heute auf morgen auf digitales Lernen setzen. Bei der Fern-Uni in Hagen gehörte das auch schon vorher zum Alltag. Ein Gespräch mit Rektorin Prof. Ada Pellert darüber, wie Bildungseinrichtungen jetzt kurzfristig digitaler werden können – und wie die Fern-Uni sie dabei unterstützen kann.

Frau Prof. Pellert, einmal ganz kurz für alle vorweg: Wie genau funktioniert eigentlich ein Fernstudium?

Bei uns an der Fern-Uni sind mit 80 Prozent die meisten Studierenden berufstätig. Es geht also darum, orts- und zeitunabhängig zu lernen und zu lehren. Dafür haben wir zum einen Lehrkräfte mit sehr ausdifferenzierten Funktionen: Es gibt natürlich Professoren, Dozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter bei uns – aber auch E-Tutoren, Online-Moderatoren, Fachmedien-Didaktiker und Mentoren. Und zum anderen haben wir unsere Inhalte so konzipiert, dass sie in einem flexiblen, selbstbestimmten Rhythmus gelernt werden können. Dafür arbeiten wir nach dem Prinzip des Blended Learning. Das bedeutet: Wir mischen verschiedene Lernformen.

Welche Lernformen sind das?

Wichtig sind drei Dinge: Einerseits nutzen wir schriftliche Unterlagen für das Selbststudium. Die sind so aufbereitet, dass die Studierenden sie selbst durcharbeiten können – etwa in dem sie auch Kontrollfragen dazu gestellt bekommen. Das ist ein ganz wichtiger Baustein im Blended Learning, denn das Selbststudium muss man mit entsprechenden Materialien gut unterstützen.

Ein zweiter Baustein ist der Online-Campus. Dabei geht es darum, dass sich die Studierenden virtuell vernetzen und miteinander kommunizieren können. Für einige Inhalte sind E-Mails oder Chatprogramme sinnvoll, aber es gibt auch virtuelle Räume, in denen sie gleichzeitig zusammenkommen und in denen auch moderiert, präsentiert und diskutiert werden kann.

Und das Dritte ist: Auch bei uns gibt es die Möglichkeit zur Präsenz. Dafür haben wir von Hamburg bis Stuttgart Regionalzentren. Die Studierenden können dort hingehen, andere treffen und Veranstaltungen besuchen.

Diese drei Säulen sind ganz wichtig für ein modernes, digital gestütztes Studium. In welchem Verhältnis diese drei Komponenten miteinander gemischt werden, das variiert von Studiengang zu Studiengang – und je nach Lerntyp: Einige brauchen viel Präsenz, die gehen freiwillig in physische Veranstaltungen; andere sind froh, dass sie das nicht brauchen, und bekommen das mit wenig Präsenz hin, weil sie sehr gut organisiert sind.

Viele Lehrer*innen und Dozent*innen stehen aufgrund der Corona-Pandemie gerade vor der Frage, wie sie ihren Stoff vermitteln sollen, weil ihre Bildungseinrichtung schließen musste. Bei den Unterlagen für das Selbststudium und dem Online-Campus können sich sicherlich viele bei Ihnen etwas abschauen. Haben Sie Tipps, damit digitales Lernen auch kurzfristig gelingen kann?

Dazu ist es erst einmal ganz allgemein wichtig, nicht in Aktionismus zu verfallen. Man sollte nicht versuchen, das, was bisher analog gemacht wurde, von heute auf morgen digital zu machen. Viele gießen jetzt einfach den ganzen Inhalt ihres Unterrichts in lange Videos. Das bringt nichts. Das ist zum Scheitern verurteilt.

Stattdessen sollte man sich einen kurzen Moment Zeit zum Durchatmen nehmen, um sich mit Mediendidaktik auseinandersetzen. Das muss nicht intensiv sein, aber man sollte genau schauen, was es eigentlich für Medien gibt, um Inhalte sinnvoll bereitzustellen, um kommunizieren zu können oder auch um Lernfortschritte überprüfen zu können.

Der Schlüssel ist dann, sich zu fragen, wie man Lernen gut unterstützen kann. Und wenn man wirklich über diese Frage nachdenkt, kommt man am Ende immer wieder darauf, dass am selbstorganisierten Lernen kein Weg vorbeiführt. Denn lernen müssen die Lernenden. Entscheidend ist also, wie man als Bildungseinrichtung das Selbststudium anregen und begleiten kann.

Wir befinden uns gerade in einem großen Laborexperiment der digitalen Lehre.
Prof. Ada Pellert, Rektorin Fern-Uni Hagen

Welche Medien eigenen sich denn derzeit besonders gut, um das Selbststudium zu unterstützen?

Am besten ist es, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen. Ganz einfach ist es zum Beispiel, Texte, die man hat, als PDF zur Verfügung zu stellen. Auf der anderen Seite ist es auch sehr einfach, Videos zu produzieren. Das ergibt insbesondere bei Inhalten Sinn, bei denen Prozesse wichtig sind oder etwas hergeleitet werden muss, wie etwa bei mathematischen Inhalten. Texte sind an dieser Stelle schwerfälliger und nicht so gut geeignet.

Dann ist es natürlich wichtig, die Kommunikationsmöglichkeiten festzulegen: Welche Inhalte und Fragestellungen können schriftlich über Mails oder Chats begleitet werden und wann ist es auch sinnvoll, synchron miteinander zu kommunizieren – etwa über Videokonferenzen oder virtuelle Seminare?

Sie haben schon gesagt: Alle Inhalte in lange Videos gießen, bringt nichts. Für bestimmte Inhalte eignen sich Videos aber doch. Wie macht man denn ein gutes Lehrvideo?

Da gibt es ein paar Kniffe, mit denen ein gutes Lehrvideo gelingen kann. Wir haben auf dem Blog unserer Koordinationsstelle für E-Learning und Bildungstechnologien, der e-Koo, dazu ein Tutorial veröffentlicht, das offen zugänglich ist. Dort gibt es auch viele andere Informationen, die wir gern mit anderen teilen.

Unser Team um die e-Koo-Leiterin Nicole Engelhardt bekommt gerade viele Anfragen von anderen Unis oder Schulen, wo es genau darum geht: Wie bekommt ihr das mit dem digitalen Lernen hin? Für uns an der Fern-Uni ist die aktuelle Situation zwar auch eine Herausforderung. Aber wir haben jahrelang Expertise im digitalen Lernen aufbauen können und sind dafür nun relativ gut vorbereitet. Insofern ist es für uns selbstverständlich unser Wissen auch weiterzugeben, so gut wir es können

Das sind nun Inhalte, die kurzfristig helfen. Was genau können Bildungseinrichtungen tun, um auch langfristig flexibel zu sein und digitales Lernen stärker in den Fokus zu nehmen?

Wenn jede Institution sich zunächst auf das Bereitstellen erster sinnvoller Inhalte konzentriert, bleibt genug Zeit, daraus ein wertvolles mediendidaktisches Konzept zu erarbeiten, das nicht nur in den kommenden fünf Wochen gültig ist, sondern im besten Falle perspektivisch weiterentwickelt und auch zukünftig in den Schulen und Hochschulen umgesetzt werden kann. Wenn man sich diese Zeit nimmt, dann wird man feststellen, dass da auch relativ viel möglich ist.

Wie sieht es denn bei Ihnen an der Fern-Uni derzeit aus: Wie sehr beeinflusst die Corona-Pandemie denn gerade den Verlauf des Studiums?

Dort, wo wir einen Präsenzbetrieb haben, haben wir nun auch das Problem, dass wir ihn herunterfahren müssen – also Prüfungen, die die Anwesenheit erfordern, oder Präsenzseminare sind jetzt nicht möglich. Wir werden aber am 1. April ganz normal ins Sommersemester starten. Aber gerade bei Prüfungen haben wir Fristen verlängert oder bieten eine Verlängerung für diejenigen an, die mehr Zeit benötigen.

Info

Die e-Koo: Koordinationsstelle für E-Learning und Bildungstechnologien

Die Koordinationsstelle für E-Learning und Bildungstechnologien der Fern-Universität Hagen, kurz e-Koo, teilt ihre Expertise im digitalen Lernen für andere Bildungseinrichtungen.

Auf dem Blog https://ekoo.fernuni-hagen.de/ gibt es zahlreiche unterstützende Angebote, etwa folgende:

- Offene Tutorials zu Moodle, Adobe Connect, Lehrvideoproduktion etc.: hier klicken.

- Informationen zu offenen Selbstlernkursen: hier klicken.

- Showroom mit ausgewählten Praxisbeispielen aus der Fern-Universität: hier klicken.

Auf Twitter wird zudem laufend über neue Angebote informiert: @eKOO_FernUni Nicole Engelhardt und ihr Team sind auch persönlich als Ansprechpartner per E-Mail erreichbar, unter der Adresse ekoo@fernuni-hagen.de

Die Koordinationsstelle für E-Learning und Bildungstechnologien der Fern-Universität Hagen, kurz e-Koo, teilt ihre Expertise im digitalen Lernen für andere Bildungseinrichtungen.

FernUniversität in Hagen, Dirk Matull
FernUniversität in Hagen, Horst Pierdolla

Die Lernfortschritte für die Studierenden sind also trotz allem gesichert. Inwiefern ist die Fern-Uni Hagen damit ein Role-Modell für die Hochschul-Bildung der Zukunft?

Wir befinden uns gerade in einem großen Laborexperiment der digitalen Lehre. Und wir an der FernUni tun uns damit leichter, weil unsere Grundstruktur schon digital ist. Natürlich überlegen wir uns auch: Was heißt das für unsere Prüfungsformate, wie können wir die weiterentwickeln? Da hängen wir wie viele andere Hochschulen auch in vielen rechtlichen Bedingungen fest, die es nicht unbedingt leicht machen, die neuen medialen Möglichkeiten auszuschöpfen. Da geht ja manchmal technisch etwas, was prüfungsrechtlich noch nicht geht. Wie alle in der Hochschullandschaft sind wir daran interessiert, dass sich das weiterentwickelt. Gerade diesen Rahmenbedingungen muss man sich langfristig widmen, wenn alle sich für den Moment sortiert haben.

Wird man eine nachhaltige Lehre aus der Situation für die gesamte Hochschulbildung ziehen?

Unbedingt. Es wäre jammerschade, wenn wir das nicht tun. Alle probieren jetzt aus: Sie merken dabei, was sie können und was sie nicht können. So eine große Aufmerksamkeit für das digitale Lernen gab es noch nie. Im Grunde lernt man auch als Institution ja oft nur, wenn man muss. Und jetzt muss man. Dabei entstehen Dinge, die wir als Hochschulen und als Hochschullandschaft nachhaltig verankern sollten. Und dafür sind unsere Erfahrungen natürlich hilfreich.

FernUniversität in Hagen, Hardy Welsch

Glauben Sie, dass Ihre Erfahrungen dazu führen, dass andere Hochschulen das Modell der Fern-Uni für sich adaptieren werden?

Ich glaube ganz sicher, dass das qualitätsvolle Hochschulstudium der Zukunft ein Blended-Learning-Studium ist. Dabei kann jede Hochschule das Ausmaß der einzelnen Bausteine selbst bestimmen – wieviel Präsenz, wieviel Online-Campus, wieviel Material. Jede Bildungseinrichtung muss für sich schauen, wie sie jede dieser Komponenten qualitätsgesichert weiterentwickelt. Insofern wird es da sicherlich eine Annäherung an unser Konzept geben.

Das variiert natürlich einerseits von Studiengang zu Studiengang – und andererseits je nach Lebensphase: Es wird immer Phasen geben wie als junger Mensch Anfang 20: Da ist es wichtig, dass man viele Begegnungen in Präsenz erlebt. Und es gibt später Lebensphasen, in denen sich unsere Studierenden an der Fern-Uni größtenteils befinden: Die sind inmitten des prallen Lebens und ganz froh, wenn sie nicht so viel Anwesenheit notwendig haben.

Sie sind mit Ihrem Uni-Modell bundesweit einzigartig und auch ein Aushängeschild des Ruhrgebiets. Welche Rolle spielt für Sie dabei der Standort Metropole Ruhr?

Von unserem Aktionsradius sind wir natürlich im gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus tätig. Aber wir sind hier situiert als eine der Landesuniversitäten Nordrhein-Westfalens. Und hier gibt es etwas, das die anderen Länder nicht haben: Das ist die digitale Hochschule NRW – eine Kooperationsplattform aller Hochschulen im Ruhrgebiet und im Bundesland. Das ist etwas Einmaliges. Die Hochschulen vernetzen sich dabei nicht nur zu Fragen der Infrastruktur, sondern auch zu Fragen der Lehre und der Forschungsunterstützung. Und auch die kurzen Wege erleichtern die Vernetzung enorm. Wir sind hier so eng beieinander, dass die Vernetzung sehr einfach möglich und nicht nur auf Digitalität angewiesen ist. Das sind Voraussetzungen, die eine Kraft entwickeln, die über die Region hinausstrahlt.

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