Wie sich Corona auf die Start-up-Szene Ruhr auswirkt

Eine aktuelle Studie des Bundesverbands Deutsche Startups bescheinigt dem Gründertum in der Metropole Ruhr ein hohes Potenzial. Doch Corona verändert vieles: Wie es um das Start-up-Ökosystem im Ruhrgebiet aktuell bestellt ist und was den Gründer*innen Hoffnung machen sollte: ein Interview mit dem Studienleiter Alexander Hirschfeld.

Die Start-up-Szene im Ruhrgebiet hat viel Potenzial: Das habt ihr in einer aktuellen Studie, dem Innovationsreport Ruhr, ermittelt. Die Studie ist jedoch noch vor der Corona-Krise entstanden. Wie hat sich die Situation für die Start-ups in der Region in den vergangenen Wochen geändert: Mit welchen Beeinträchtigungen haben sie zu kämpfen?

Wir haben relativ schnell nach Ausbruch der Corona-Pandemie eine bundesweite Umfrage durchgeführt, an der über 1.000 Start-ups teilgenommen haben. Das Ergebnis war alarmierend: Neun von zehn der Unternehmen sind durch die Krise beeinträchtigt und 73,2 Prozent in ihrer Existenz gefährdet. Überall, auch im Ruhrgebiet gilt: Events fallen weg und damit ein ganz wichtiger Akquisekanal, Kunden schieben Kaufentscheidungen auf, was zu massiven Umsatzeinbußen führt. Für Start-ups aber mindestens genauso wichtig ist die Unsicherheit auf dem Kapitalmarkt: Investoren halten sich zurück, wichtige Finanzierungen bleiben aus und den Unternehmen fehlt schlicht das Geld, um ihr Geschäft am Laufen zu halten.  

Start-up ist nicht gleich Start-up. Je nach Branche sind die Gründer*innen unterschiedlich gefährdet. Welche Branchen haben im Ruhrgebiet nun dringend Hilfen nötig und warum?

Es gibt natürlich Bereiche, die besonders gefährdet sind, allen voran die Tourismusbranche. Unsere Daten zeigen aber, dass mit wenigen Ausnahmen wie der Baubranche so gut wie alle Sektoren betroffen sind. Am meisten gefährdet sind Unternehmen, die in den kommenden sechs Monaten eine Finanzierung planen. Denn ihnen kann die aktuelle Zurückhaltung auf Investorenseite zum Verhängnis werden. Im Ruhrgebiet könnte das die sehr positive Entwicklung in erfolgreichen Bereichen wie dem Cluster Cybersecurity hemmen – hier sollte man genau hinsehen. Das Ruhrgebiet ist außerdem ein Ökosystem, in dem die meisten Start-ups noch in einer frühen Entwicklungsphase sind. Hier greifen vor allem Fördermaßnahmen in der Breite, weshalb man trotz Krise hier nicht nachlassen darf.    

Die Bundesregierung hat bereits verschiedene milliardenschwere Hilfspakete geschnürt, auch das Land Nordrhein-Westfalen hat Programme aufgelegt. Bringt dieses Geld eine nötige Ruhe und Planungssicherheit für die Start-ups?

Wichtig ist immer, dass die Programme zielgenau die Bedürfnisse der Unternehmen adressieren. In NRW sind daher vor allem Frühphasenprogramme wichtig und genau hier wurden bereits wichtige Maßnahmen auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Verlängerung von Gründerstipendien und Start-up-Transfer-Förderungen oder das Programm „NRW.Startup akut“ der NRW.BANK. 

Wir haben die Potenziale eingangs schon angesprochen, die das Ruhrgebiet für Start-ups bietet. Welche dieser Potenziale stimmen Dich zuversichtlich, dass sich die Start-up-Landschaft im Ruhrgebiet nach Corona rasch wieder erholen kann?

Die Ergebnisse aus dem Innovationsreport Ruhr zeigen, dass im Ökosystem aktuell das Experimentieren und Tüfteln im Vordergrund steht. Große Finanzierungsrunden findet man dagegen noch kaum in der Region. Die aktuelle Situation, die durch einbrechende Umsätze und große Unsicherheiten im Investmentbereich gekennzeichnet ist, trifft daher Start-ups im Ruhrgebiet wahrscheinlich weniger hart als in kapitalintensiven Standorten wie Berlin. Darauf deuten auch die Zahlen aus unserer Befragung hin. Die hohe technische Expertise im Ruhrgebiet kann ein Vorteil gegenüber anderen Start-up-Standorten sein – wenn sie jetzt zur Produktentwicklung genutzt wird, während in anderen Ökosystemen das Geschäft stockt.

Gibt es auch Chancen, die sich aus der Corona-Krise für die Start-ups ergeben?

Ohne Frage bringt die Krise einen enormen Digitalisierungsschub. Das merkt jeder, der dank Google-Suite, Zoom & Co reibungslos ins Home-Office wechseln konnte. Außerdem bieten die mit der Krise entstehenden Herausforderungen und Bedürfnisse eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten für Start-ups. Gleichzeitig muss man aber eben auch die besondere Struktur von Start-up-Unternehmen im Kopf behalten, die sie in der aktuellen Krise besonders anfällig macht. 

Die zentralen Ergebnisse des Innovationsreport Ruhr
Die zentralen Ergebnisse des Innovationsreport Ruhr
Die zentralen Ergebnisse des Innovationsreport Ruhr
Die zentralen Ergebnisse des Innovationsreport Ruhr
Die zentralen Ergebnisse des Innovationsreport Ruhr
Die zentralen Ergebnisse des Innovationsreport Ruhr

Der Innovationsreport identifiziert unter anderem Gesundheit, Cybersecurity und den industriellen Sektor als aktuell besonders aktive Cluster im Ruhrgebiet – wie bedeutsam sind diese Cluster in der Krise?

Die Bedeutung des Gesundheitssektor in der jetzigen Situation ist selbsterklärend. Cybersecurity ist der mit Abstand reifste Start-up-Cluster im Ruhrgebiet und insgesamt ein enormer Wachstumsmarkt. Mit Blick auf die Krise ist es durchaus denkbar, dass die Zunahme von Home-Office in vielen Unternehmen zu einer stärkeren Sensibilisierung für Sicherheitsfragen führt und die Branche damit nochmals an Bedeutung gewinnt. Innovationen in industrielle Technologien können zum USP der Region werden, die ein enormes Potenzial im B2B-Bereich hat. Hier hängt es stark davon ab, wie sehr Mittelstand und Konzerne mit sich selbst beschäftigt sind und wie hoch die Bereitschaft ist, trotz oder vielleicht sogar wegen der Krise neue Dinge auszuprobieren. 

Auch wenn einzelne Start-ups diese Krise eventuell nicht überstehen werden. Wie bewertet ihr die Zukunft nach Corona der Start-up-Landschaft als Ganzes: Ist es mittelfristig realistisch, weiter das Ziel zu verfolgen, zu den Start-up-Zentren wie Berlin und München aufzuschließen?

Das Ruhrgebiet hat bislang eine positive Entwicklung hingelegt. Berlin und München haben aber eine deutlich höhere Start-up-Dichte als das Ruhrgebiet. Es wird Zeit brauchen, das aufzuholen. Das gilt auch für die Finanzierungen. 2019 sind 3,7 Milliarden Euro an Wagniskapital nach Berlin geflossen, während es in ganz NRW weniger als 300 Millionen waren. Aber: Das Beispiel Berlin zeigt auch, dass es mit großen Kapitalschüben sehr schnell gehen kann. Und München hat an der Schnittstelle zwischen Hochschulen, etablierter Wirtschaft und Start-up-Szene ein Erfolgsmodell geschaffen, das sich in ähnlicher Form auch im Ruhrgebiet entwickeln kann. Dazu braucht es ein lebendiges und dichtes Ökosystem und hier ist das Ruhrgebiet auf einem sehr guten Weg – auch für die Zeit während und nach Corona.

Über den Startup-Verband

Dr. Alexander Hirschfeld ist Teamleiter Research beim Bundesverband Deutsche Startups e.V. Der Verein versteht sich als Netzwerk der Start-ups in Deutschland und ist Repräsentant und Stimme der Start-ups in Deutschland. Der Verein erläutert und vertritt die Interessen, Standpunkte und Belange von Start-up-Unternehmen gegenüber Gesetzgebung, Verwaltung und Öffentlichkeit, wirbt für innovatives Unternehmertum und trägt die Start-up-Mentalität in die Gesellschaft. 

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