Grau zu Grün

Greyfield-Group-Gründer Timm Sassen und Geschäftsführerin Sarah Dungs sind sich sicher: Deutschland ist fertig bebaut. Jetzt geht es darum, bestehende Immobilien nachhaltig weiterzuentwickeln. Das ist gut fürs Klima und für die Menschen. 

Anfang der 2010er-Jahre nahm Timm Sassen auf der A42 die Ausfahrt Gelsenkirchen-Zentrum. Dort sah er einen alten Baumarkt, verfallen und verbarrikadiert, mitten in der Stadt. "Ich dachte, da muss man doch was draus machen. So eine Immobilie in so einer Lage, das kann doch nicht sein, dass die vor sich hin gammelt."

Doch Banken und Investor*innen rieten dem Immobilienmanager vom Kauf der schon seit über zehn Jahren leerstehenden Immobilie und vom Standort Gelsenkirchen ab. "Lass die Finger davon, da waren schon alle dran, hieß es. Und in Gelsenkirchen lohne sich eh keine Investition", erzählt der heute 46-Jährige.  

Die Wandlungsfähigkeit des Ruhrgebiets

Das spornte Sassen nur noch mehr an. Für ihn war der Kauf des alten Baumarkts nicht weniger als eine Wette auf die Wandlungs- und Zukunftsfähigkeit des Ruhrgebiets: "Ich dachte: Was ist denn mit den Menschen hier in Gelsenkirchen? Sollen wir diese Stadt jetzt einfach verkommen lassen? Da mache ich nicht mit."

Der gebürtige Dortmunder gründete die Greyfield Group, ein Immobilienunternehmen, das sich seit 2012 zum Ziel setzt, alten Immobilien eine neue Zukunft zu geben, ohne sie abzureißen. In den fast 5.000 Quadratmeter großen ehemaligen Baumarkt im Zentrum von Gelsenkirchen zogen 2014 ein Fitnessstudio und ein Logistiker ein, die dort seitdem erfolgreich ihre Geschäfte betreiben. Sassen hatte seine Wette gewonnen. Das visionäre und nachhaltige Geschäftsmodell seines Unternehmens wurde trotzdem lange nicht verstanden.

"Früher wurden wir in der Branche als Geisterfahrer bezeichnet", erzählt Geschäftsführerin Sarah Dungs, die 2016 zur Greyfield Group kam. "Doch inzwischen häufen sich die Anfragen, wie unsere nachhaltige Immobilienentwicklung funktioniert. Die Branche sieht uns nun nicht mehr als Geisterfahrer, sondern als Vorreiter."

"Deutschland ist fertig bebaut"

Beim Bau einer neuen Immobilie entsteht viel klimaschädliches CO2, allein schon durch die Produktion von Beton. Hinzu kommt die Versiegelung von Flächen, die alles andere als gut für die Umwelt ist. "Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland fertig bebaut ist", erklärt Dungs. "Es muss in Zukunft darum gehen, die bereits versiegelten und bebauten Flächen zu nutzen und umzunutzen, statt neu zu bauen."

Daher auch der Name Greyfield Group: In der Baubranche unterscheidet man zwischen Greenfield-Projekten, also Neubauten auf der grünen Wiese, Brownfield-Projekten, also Grundstücken, auf denen bestehende Gebäude abgerissen werden, um neue zu errichten, und Greyfield-Projekten, bei denen vorhandene Bauten erhalten und umgewandelt werden.

"Greyfield-Projekte sind einfach nachhaltiger. Und das ist uns sehr wichtig. Wir haben nur diese eine Erde und wir müssen verantwortungsvoll mit ihr umgehen", sagt Dungs. "Das sehen inzwischen sehr viele Menschen so. Neubauprojekte sind immer wieder ein Politikum. Und auch Investoren wissen, dass sie anders agieren müssen, weil sie immer mehr Auflagen bekommen."

Der Nutzen für die Bevölkerung steht im Vordergrund

Dementsprechend geht die Greyfield Group ein Immobilienprojekt völlig anders an als Unternehmen, die ein neues Gebäude bauen: "Wir fragen uns nicht, was ein potenzieller Investor will, sondern: Wie können wir die Immobilie so umnutzen, dass die Menschen davon profitieren?", erklärt Sassen.

Da ist zum Beispiel das denkmalgeschützte ehemalige Kaufhaus in Duisburg-Hamborn, das rund ein Jahr leer stand und 2021 von der Greyfield Group umstrukturiert wurde. "Dort ist ein Gesundheitszentrum eingezogen, aber auch kleine Geschäfte und eine Pizzeria, in der man sich abends für kleines Geld eine leckere Pizza holen kann", erzählt Dungs. Diese vielfältige Nutzung bringt wieder Leben in den Stadtteil, verschafft der Bevölkerung Zugang zum Gesundheitssystem und hat Arbeitsplätze geschaffen.

 

Greyfield Group in Essen: Geschäftsführerin Sarah Dungs und Gründer Timm Sassen

Und zugleich produziert das sogenannte Bauen im Bestand ca. 80 Prozent weniger CO2 als ein Neubau. "Wir haben mit unseren Projekten bereits knapp 38.000 Tonnen CO2 eingespart", sagt Sassen. Noch so eine Sache, die bei der Greyfield Group anders ist als bei anderen Immobilienunternehmen: "Wir veröffentlichen unsere Geschäftszahlen nicht in Euro, sondern in eingesparten CO2-Emissionen."

Dementsprechend verfolgt die Greyfield Group laut Dungs auch keine Wachstumsstrategie, sondern eine "Ewigkeitsstrategie". Projekte müssen immer dem Unternehmen, den Menschen und dem Planeten zugute kommen, und zwar langfristig.

Um dieses Ziel besser verfolgen zu können, haben Sassen und Dungs 2020 die gemeinnützige Greyfield Stiftung gegründet. Diese fördert unter anderem Wissenschaft, Forschung und Bildung, die sich mit Redevelopment, Bauen im Bestand, und nachhaltiger Stadtplanung beschäftigen.

"Transformation beginnt im Kopf"

Dass die Greyfield Group vieles anders macht als andere Immobilienentwickler, liegt auch an den Mitarbeitenden. Viele sind jung und bringen frische Ideen mit, wie die erst 29-jährige Geschäftsführerin Dungs. Auch wenn sie die richtige Einstellung zum Beruf wichtiger findet als Alter oder Geschlecht: "Man muss einfach nur den Mut haben, etwas bewegen zu wollen und Herausforderungen anzunehmen. Dann kann man auch als Frau in jungen Jahren ein Unternehmen führen."

"Die Immobilienbranche ist sicherlich eine der konservativsten", sagt Greyfield-Gründer Sassen. "Das macht sie so schwerfällig. Wenn man versucht, mit alten weißen Männern zu transformieren, zu reformieren, dann funktioniert das nicht." Transformation beginne im Kopf. Deswegen ist es für Sassen das Wichtigste, frische, klare Köpfe im Team zu haben.

Die Fähigkeit zur Transformation hat für Sassen aber nicht nur etwas mit dem Alter zu tun, auch die Herkunft spiele eine Rolle: "Wir Leute aus dem Pott haben besonders viel Erfahrung mit Transformation, mit Veränderung und mit der Notwendigkeit, sich neu zu erfinden." Das sei eine besondere Fähigkeit, die die Menschen im Ruhrgebiet ruhig noch stärker und selbstbewusster zeigen könnten: "Viele haben hier das Gefühl, sich mit Berlin oder München messen zu müssen, aber das müssen wir nicht. Das Ruhrgebiet hat ganz eigene Stärken und einen ganz eigenen Charakter, den man nicht verstecken muss."

Ruhrpottler durch und durch

Sassen und Dungs verstehen sich als Ruhrpottler durch und durch, beide sind hier aufgewachsen. "Das Ungeschminkte und Ehrliche, das wir durch unsere Sozialisation hier im Pott haben, hilft uns bei der täglichen Arbeit. Sonst ist die Immobilienbranche ja ziemlich schickimicki, aber da machen wir nicht mit. Und mit dieser Einstellung kann man auch Projekte angehen, die sich ein Investor aus München gar nicht erst anschauen würde", sagt Sassen.

Kein Wunder also, dass die Greyfield Group neue Projekte nach einem ungewöhnlichen Motto auswählt: "Je abgerockter, desto besser", sagt Dungs. Eine Haltung, die sich auch in der Essener Zentrale widerspiegelt: "Wenn wir hier Gäste empfangen, kriegen wir schon manchmal zu hören, die Wände müssten mal verputzt werden. Aber wir stehen zu unseren unverputzten Backsteinwänden."

+++ Zur Person +++

Sarah Dungs (29) kommt gebürtig aus dem Ruhrgebiet und ist Geschäftsführerin der Greyfield Group mit Hauptsitz in Essen. Ihr Credo: „Eine schicke Unperfektion.“ Sie ist sich sicher, dass es nicht nur herausfordernd ist, die Städte zu transformieren. Vielmehr ginge es auch um die Transformation der Mindsets der Menschen. "Die Stärken und Potenziale im Ruhrgebiet sind bereits vorhanden, wir müssen sie nur selbstbewusst vertreten, auf ihnen aufbauen und auf sie vertrauen. Nicht reden, sondern machen. Das ist das Ruhrgebiet."

+++ zur Person +++

Timm Sassen ist Gründer und Geschäftsführer der Greyfield Group. Der Leitspruch des im Ruhrgebiet geborenen 46-Jährigen: Deutschland sei fertig bebaut und so auch das Ruhrgebiet. "Wir müssen lernen zu reparieren, zu restaurieren und umzunutzen. Speziell bei der gebauten Umwelt im Ruhrgebiet bedarf dies einer großen kreativen Herausforderung", ergänzt er. Sassen ist Architekt und unter anderem Lehrbeauftragter an diversen Universitäten. 

Fotos: Julius Gnoth 

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