3 Dinge, die jede*r über grünen Stahl wissen sollte

Klimaneutrale Industrien sind die Zukunft für das Ruhrgebiet, Deutschland und Europa. Stahl kann dabei zum Zugpferd innovativer Technologien werden. Drei Thesen, weshalb:

#1 Die Stahl-Industrie hat von allen Industriezweigen den größten Wirkungsgrad für den Weg in eine klimagerechte Zukunft in Deutschland

#2 Grüner Stahl ist das wichtigste Zugpferd für den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft

#3 Der klimaneutrale Ausbau der Stahlindustrie stärkt den Standort Ruhrgebiet und schafft langfristig Arbeitsplätze

Wie haltbar diese Thesen sind, dazu hat Samir Khayat Stellung genommen. Als Geschäftsführer von IN4climate.NRW mit Sitz in Gelsenkirchen ist er Experte für die Frage, wie eine klimaneutrale Industrie die Zukunftsfähigkeit der Metropole Ruhr und Nordrhein-Westfalens beeinflussen kann. 

Samir Khayat, Geschäftsführer IN4climate.NRW

IN4climate.NRW ist eine Klimaschutz-Initiative des Landes NRW, die gemeinsam mit Industrie, Politik und Wissenschaft innovative Strategien und Lösungen für eine klimaneutrale Industrie erarbeitet und fördert.

#1

Die Stahl-Industrie hat von allen Industriezweigen den größten Wirkungsgrad für den Weg in eine klimagerechte Zukunft in Deutschland

Die Industrielandschaft in Deutschland ist laut Zahlen des Umweltbundesamtes für mehr als 20 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Von allen Industriezweigen verursacht dabei bundesweit keiner so viel Kohlendioxid wie die Stahlindustrie. Denn um Stahl herzustellen, wird viel Energie benötigt. Dabei gelangt eine Menge des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre. Das bedeutet auch: Stellt die Stahlindustrie ihre Prozesse klimaneutral auf, wird das einen erheblichen Effekt auf die gesamtdeutsche Klimabilanz haben.

Die gute Nachricht ist: Die Technologien dafür stehen in der Stahlindustrie bereits in den Startlöchern. Wenn sie mit klimaneutralen Energieträgern betrieben werden, können CO2-Emissionen langfristig vermieden werden. Bis es soweit ist, eignen sie sich bereits in einer Übergangsphase dazu, die Treibhausgase deutlich zu reduzieren. So wie bei thyssenkrupp Steel in Duisburg: Dort soll Wasserstoff in den kommenden Jahren einen Teil des im Hochofen eingesetzten Koks ersetzen. Langfristig sollen mit grünem Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlagen und elektrische Schmelzöfen die alten Hochöfen ersetzen.

„Für die Stahlbranche stehen bereits effektive Technologien zur Verfügung, die sich im industriellen Maßstab nutzen lassen. Das ist eine gute Ausgangsposition“, sagt deswegen Samir Khayat, Geschäftsführer von IN4climate.NRW. „Aber ebenso zentral bleibt, die weiteren Prozesse anzustoßen, um die gesamte Industrie klimaneutral umzustellen.“

Doch klimaneutraler Stahl ist teuer. Laut Analysen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC können sich die Kosten etwa 30 bis 60 Prozent über dem Rohstahlpreis liegen. Der IN4climate.NRW-Geschäftsführer ist dennoch optimistisch: Innerhalb der kommenden zehn Jahre wird sich in Europa ein Markt für grünen Stahl entwickeln.

Denn zum einen wollen immer mehr Hersteller, die Stahl verarbeiten, ihren Kund*innen klimaneutrale Produkte anbieten. Zum anderen zeigen die Europäische Union und die Bundesrepublik mit ihren milliardenschweren Förderprogrammen, dass sie die klimaneutrale Transformation der Industrie anschieben wollen – ein Effekt, der die Nachfrage nach grünem Stahl in anderen Industriesegmenten positiv beeinflussen könnte. Die staatliche Hilfe sieht Khayat als Überbrückungshilfe, um die Transformation finanzieren zu können.

Für die Stahlbranche stehen bereits effektive Technologien zur Verfügung, die sich im industriellen Maßstab nutzen lassen. Das ist eine gute Ausgangsposition.
Samir Khayat, Geschäftsführer IN4climate.NRW

#2

Grüner Stahl ist das wichtigste Zugpferd für den Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft

Die Stahlindustrie könnte zur Keimzelle einer europäischen Wasserstoffindustrie werden – mit dem Ruhrgebiet als Zentrum. Denn der Bedarf an grünem Wasserstoff zur Herstellung von grünem Stahl ist immens: Allein thyssenkrupp Steel Europe erwartet bis 2050, einen Bedarf von 750.000 Tonnen grünem Wasserstoff für die Stahlherstellung. Für dessen Herstellung wird eine Elektrolyse-Leistung von mehr als vier Gigawatt benötigt. „Nur mal von der Größenordnung“, sagt der IN4climate.NRW-Geschäftsführer Khayat: „Das ist etwa die gleiche Leistung, die heute zwei Braunkohlekraftwerke oder 1.000 Windräder der höchsten Leistungsklasse erbringen.“ Für die gesamtdeutsche Industrie wird der Bedarf an grünem Wasserstoff bis 2050 auf ein Vielfaches ansteigen – eine Menge, für die auch Importe aus anderen Ländern nötig werden. Länder wie zum Beispiel. Spanien, Portugal, Marokko oder auch Niederlande, Norwegen, Schottland: „Die stehen alle in den Startlöchern und warten auf den Nachfrage-Push“, sagt Khayat.

Mit dem Bedarf an Wasserstoff entsteht zugleich ein weiterer Bedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette. So werden etwa viele technische Aggregate gebraucht, um Wasserstoff effizient nutzen zu können: von den Pipelines über die Elektrolyseure bis hin zu speziellen Kunststoffen und Regelungsarmaturen. „Das ist natürlich noch mal ein riesiger Markt mit entsprechenden Arbeitsplatz-Effekten“, sagt Samir Khayat und verweist auf die Wasserstoffstudie Nordrhein-Westfalen im Auftrag des Wirtschaftsministeriums: Sie prognostiziert bis zu 130.000 zusätzliche Arbeitsplätze, die mit einer Wasserstoffwirtschaft entstehen können.

Die Vision einer klimaneutralen Stahlindustrie bietet also gleich mehrere Chancen: NRW und das Ruhrgebiet steigen sowohl in klimaneutrale Technologien als auch in die Wasserstoffwirtschaft in großem Maßstab ein, heben enorme Beschäftigungspotenziale und können so zum Vorreiter einer klimaneutralen Industrie in Europa werden. Umso wichtiger ist, so Khayat, dass die Umstellung der Stahlherstellung vor Ort in Duisburg besonders schnell geht.

Mit dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft lässt sich der Standort ausbauen zu einem Zentrum für klimaneutrale Technologien – in allen Bereichen: vom Maschinenbau bis hin zu Dienstleistungen.
Samir Khayat, Geschäftsführer IN4climate.NRW

#3

Der klimaneutrale Ausbau der Stahlindustrie stärkt den Standort Ruhrgebiet weit über den Stahl hinaus

Mit den Klimazielen und den Möglichkeiten, eine Wasserstoff-Wirtschaft aufzubauen, ist die Zukunft der Industrie in der Metropole Ruhr bereits umrissen: „Mit dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft lässt sich der Standort ausbauen zu einem Zentrum für klimaneutrale Technologien – in allen Bereichen: vom Maschinenbau bis hin zu Dienstleistungen“, sagt IN4climate.NRW-Geschäftsführer Samir Khayat.

Schon jetzt entstehen Kooperationen großer Akteure – seien es thyssenkrupp, RWE, E.ON oder Evonik, Open Grid Europe, Air Liquide oder BP. Auch über das Ruhrgebiet hinaus entstehen Netzwerke, um erneuerbare Energien zu den Elektrolyseuren zu befördern – und den grün produzierten Wasserstoff zu den Betreibern großer Industrieanlagen. Gefördert werden Projekte wie diese von der Europäischen Kommission oder der Bundesregierung, die mit ihren Wasserstoff-Strategien und milliardenschweren Förderprogrammen nicht nur den politischen Willen zur Unterstützung demonstrieren, sondern die Transformation aktiv anschieben.

Es geht schließlich auch um Geld. Zuletzt hatte die NRW-Industrie 352 Milliarden Euro jedes Jahr umgesetzt. Viel wichtiger aber: Die Vorreiterschaft der technologischen Expertise hat für den Industriestandort Deutschland schon seit langer Zeit Wohlstand bedeutet – und dieser soll nun mit dem Wissensvorsprung in innovativen Technologien gesichert werden. Für das Ruhrgebiet liegen darin viele Potenziale für eine Wertschöpfung, die weit aus der Industrie hinaus in andere Bereiche hineinstrahlt – all das im europaweiten Verbund.

Samir Khayat sieht statt einzelner Mega-Standorte die Kraft im europäischen Wirtschaftsraum, die vom Ruhrgebiet ausgeprägt werden kann. „Wenn in Deutschland in diesem Bereich eine größere Bewegung entsteht, wird das in jedem Fall internationale Auswirkungen haben.“ Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte, findet Khayat.

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