So geht Verkehrswende im Kreis Recklinghausen

Die Metropole Ruhr startet die Mobilitätswende: Die Vestische Straßenbahnen GmbH fährt voraus und setzt dabei auf Wasserstoff und gute Ideen, um mehr Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen.

Über die Klimakrise wird viel geredet. Alle wissen: Um die globale Herausforderung zu bestehen, müssen klimaschädliche Emissionen in allen Bereichen der Wirtschaft reduziert werden. Bei der Vestischen Straßenbahnen GmbH ist man über das Reden längst hinaus. Bei dem Nahverkehrsunternehmen im Ruhrgebiet werden bereits die Weichen für eine Zukunft mit klimafreundlicher Mobilität gestellt. Die Vestische ist damit einer der Vorreiter für eine Entwicklung, der sich die gesamte Region verschrieben hat: Der Verkehr in der Metropole Ruhr soll in Zukunft mit deutlich weniger CO2-Ausstoß fließen.

Eines der größten Nahverkehrsgebiete Deutschlands

Am 9. Mai 2021 wird bei der Vestischen Straßenbahnen GmbH der 120. Geburtstag gefeiert. Sie bedient ein fast 1.000 Quadratkilometer umfassendes Gebiet zwischen Emscher und Lippe und gehört damit zu den größten in Deutschland. Darin liegen Städte wie Recklinghausen, Bottrop und Herten, aber auch ländliche Gemeinden wie Haltern am See und Oer-Erkenschwick. Statt von Straßenbahnen, die vor rund 40 Jahren ausgemustert wurden, werden die 3.429 Haltestellen heute von 242 Bussen sowie rund 130 Fahrzeugen der Fremdunternehmer angefahren.

Der geringe Anteil des ÖPNV soll steigen

Die Mischung aus urbanen und ländlichen Gegenden ist eine Herausforderung für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), denn viele Menschen sind es gewohnt, mit dem eigenen Pkw zu fahren, zum Beispiel zum Einkaufen in die nächste Stadt. Der Anteil des ÖPNV am Gesamtverkehr beträgt in Recklinghausen gerade einmal sieben Prozent. „Wenn wir die Mobilitätswende erfolgreich meistern wollen, braucht unsere Region eine Angebotswende, damit der Bus attraktiver als das Auto wird“, sagt Martin Schmidt, Geschäftsführer der Vestischen.

Vestische-Geschäftsführer Martin Schmidt setzt auf eine Bus-Flotte aus batteriebetriebenen, wasserstoffbetriebenen Und Euro-Norm-IV-Fahrzeugen.

7,2 Millionen Euro für die Verkehrswende

Ein erster Meilenstein für die Verkehrswende in der Region war es, den Klimapakt des Kreises Recklinghausen im November 2019 zu verabschieden. Ein wichtiger Bestandteil des umfangreichen Konzepts: der Ausbau des ÖPNV. Im ersten Schritt werden jährlich 500.000 Euro für eine Ausweitung des Angebots bereitgestellt, zunächst testweise. So verdoppelt sich zum Beispiel der Takt der zentralen Schnellbuslinie 25 zwischen Dorsten, Marl und Recklinghausen von 30 auf 15 Minuten. Ab 2023 werden für die Verkehrswende jährlich rund 7,2 Millionen Euro investiert. Die Flotte wird klimafreundlich erneuert. Machbarkeitsstudien sollen zudem untersuchen, wo sich Busspuren und Ampel-Vorrangschaltungen rentieren.

Die Vestische kauft 120 klimafreundlichere Busse

„Konkret werden wir bis 2025 120 neue Dieselbusse mit Euro-VI-Norm zusätzlich beschafft haben. Das bringt eine CO2-Einsparung von rund zehn Prozent. Durch synthetische Treibstoffe sinkt die Emission von Stickoxiden zudem um bis zu 20 Prozent“, sagt Schmidt. „Außerdem werden wir fünf emissionsfreie Wasserstoffbusse auf die Straße bringen.“ Zwei batteriebetriebene Busse fahren bereits seit Sommer 2019 für die Vestische. Schmidt sieht aber vor allem im Wasserstoff (H2) großes Potenzial für die Region. „Bei uns ist die Wasserstoff-Technologie heute schon präsent. In Herten gibt es ein H2-Anwenderzentrum und eine Wasserstoff-Pipeline führt direkt an unserem Betriebsgelände vorbei. Uns fällt es daher leicht, eine H2-Tankstelle einzurichten.“

Innovativer Nahverkehr als Gewinnerthema

Die Verkehrswende werde jedoch nicht allein durch neue Technik erfolgreich sein, betont Schmidt. „Sie muss auch in den Köpfen der Menschen ankommen. Wir müssen dafür sorgen, dass weniger Verkehr mit Privatautos nicht als Einschränkung erlebt wird, sondern als Zugewinn an Lebensqualität, vor allem in den Städten.“ Als Beispiel nennt er die französische Stadt Metz, die der Aufsichtsrat der Vestischen 2019 besuchte. „Dort fahren 25 Meter lange Doppelgelenkbusse auf exklusiven Trassen quer durch die Stadt. Der Stadtraum wurde konsequent zugunsten des ÖPNV umgestaltet.“ Die Verkehrs-Revolution in Metz sei erfolgreich gewesen, sagt Schmidt. Die Fahrgastzahlen stiegen innerhalb weniger Jahre um 60 Prozent und der Autoverkehr sank. „Für den Bürgermeister wurde die Mobilitätswende zum politischen Gewinnerthema.“

Wenn wir die Mobilitätswende erfolgreich meistern wollen, braucht unsere Region eine Angebotswende, damit der Bus attraktiver als das Auto wird.
Martin Schmidt, Geschäftsführer Vestische

Die „Zukunftslinie“ lädt zum Gespräch

Ähnliches erhoffen sich auch der Kreis Recklinghausen und die Vestische. Im Rahmen des Projekts „Zukunftslinie“ sucht die Verkehrsgesellschaft das Gespräch mit Akteurinnen und Akteuren in der Region. In Workshops und Dialogveranstaltungen werden Bedürfnisse ermittelt, konkrete Handlungsschritte erarbeitet und Visionen entwickelt. In Zukunft – so ein mögliches Szenario – könnte der Sonntagsausflug im Ruhrgebiet so aussehen: Die Familie fährt im Wasserstoffbus ins Grüne und reserviert sich unterwegs per App die E-Bikes an der Mobilstation, mit denen sie dann die Lippe entlang radelt. Aufs Auto könnte sie komplett verzichten.

Über die Gemeindegrenzen hinausdenken

Wichtig für die Attraktivität des öffentlichen Nahverkehrs ist aber auch, dass der Bus nicht an der Gemeindegrenze stoppt. Gerade im Ballungsraum Ruhrgebiet ist es aufgrund der vielen Verkehrsgesellschaften eine Herausforderung, benachbarte Verkehrsgesellschaften anzubinden. Doch auch hier geht es voran: Die Nahverkehrs-Kooperation östliches Ruhrgebiet wurde 2019 um weitere Partner zur „Kooperation Metropole Ruhr“ (KMR) erweitert. Sie umfasst neben der Vestischen elf weitere Unternehmen, die die Zusammenarbeit intensivieren wollen.

Trotz Corona geht die Verkehrswende weiter

Zuversicht gibt Martin Schmidt die Tatsache, dass die Corona-Krise den Prozess der Umgestaltung nicht gestoppt hat. „Wie alle anderen öffentlichen Verkehrsbetriebe hat Corona auch uns hart getroffen, die Fahrgastzahlen gingen zeitweise auf 35 Prozent des Normalwertes zurück. Trotzdem hat unser Aufsichtsrat im vergangenen Juni unseren Kurs bestätigt. Ich bin froh, dass die Verkehrswende trotz der Corona-Krise Fahrt aufnimmt.“

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