Neues Innovationsverständnis made in Dortmund

In der Metropole Ruhr entstehen neue Technologien und soziale Praktiken, mit denen Herausforderungen wie die Energiewende gelingen sollen – hin zu einer klimaneutralen Industrieregion. Wie die Veränderungen auch in der Gesellschaft ankommen, erklärt Jürgen Schultze, Transformationsexperte aus Dortmund, im Interview.

Transformationen: Im Ruhrgebiet gibt es sie zu Genüge. Oft fordern die teilweise großen Veränderungen alle Beteiligten heraus. Jürgen Schultze ist Koordinator des Forschungsbereiches Transformative Governance in Stadt und Region an der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund. Im Gespräch erzählt er, wie er und sein Team Transformation und Innovation neu denken – und wie sie die neuen Erkenntnisse auf große Themen wie Klimaschutz oder die Energiewende anwenden.

Herr Schultze, wie definieren Sie Transformation?

Unter Transformation verstehe ich die aktive Gestaltung unseres Wirtschaftens, Arbeitens, Konsumierens und Lebens zu einem neuen System, das die Anforderungen einer CO2-neutralen Gesellschaft und einer Klimarobustheit erfüllt, und uns eine neue, bessere Lebensqualität verschafft. Also weniger als punktuelle Lösungen in Pilotprojekten, sondern ein neuer Konsens von Politik, Bevölkerung, Wirtschaft und Wissenschaft.

Wie behandeln Sie das Thema Transformation in Ihrer Forschung an der TU Dortmund?

Unser 18-köpfiges Team beschäftigt sich mit dem Forschungsbereich Transformative Governance in Stadt und Region. Dafür untersuchen wir gesellschaftliche Transformationsprozesse für eine nachhaltige Entwicklung aus unterschiedlichen theoretischen und analytischen Perspektiven, vor allem auf Ebene der Städte und Regionen in Deutschland. Dazu orientieren wir uns an dem Leitthema Soziale Innovation unseres sozialwissenschaftlichen Instituts, das wir in den vergangenen zehn Jahren entwickelt haben. Die Idee ist, dass wir Innovation nicht mehr nur als technische Innovation denken, wie es bis dahin der Fall war, sondern auch als soziale. Und soziale Innovation heißt für uns eine intentionale, also eine beabsichtigte Veränderung von Verhaltensweisen. Und das sehen wir als soziale Praktik.

Mit welchen Transformationen beschäftigen Sie sich genauer?

Mit den großen, übergeordneten Transformationen wie der Energiewende, Klimaanpassung und Raumentwicklung. Und um die Ansätze wissenschaftlich zu fundieren, betreuen wir verschiedene Projekte auf unterschiedlichen Ebenen, nämlich auf Quartiersebenen, kommunalen sowie regionale Ebenen. Dabei arbeiten wir überwiegend in inter- und transdisziplinären Teams aus Wissenschaft, öffentlicher Verwaltung, Privatwirtschaft sowie Bürgerinnen und Bürgern zusammen.

Jürgen Schultze, Koordinator des Forschungsbereiches Transformative Governance in Stadt und Region an der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund

Wieso ist die transdisziplinäre Arbeit für Ihre Forschung wichtig?

Bei uns ist transdisziplinäre Arbeit Programm, weil wir grundlegend davon ausgehen, dass weder eine Verwaltung noch eine Wissenschaft oder eine Bürgerin oder ein Bürger allein große Transformationen oder Innovationen entwickeln oder anstoßen können. Für die Energiewende würde es zum Beispiel wenig Sinn ergeben, simpel Regulierungen zu verordnen, zum Beispiel für den Gasverbrauch. Da braucht es verschiedene Akteurinnen und Akteure, die gemeinsam an übergreifenden Konzepten arbeiten. Das schafft nicht nur Akzeptanz und Verständnis auf allen Ebenen, sondern fördert auch den Wissensaustausch, von dem am Ende alle profitieren. Nur mit einem solchen verknüpften und übergreifenden Verständnis ist es möglich, auch die großen Herausforderungen, wie zum Beispiel den Klimawandel oder die digitale Transformation, zu meistern. Ein gutes Beispiel für eine enge Zusammenarbeit mit allen Vertreterinnen und Vertretern einer Stadt ist das Projekt iResilience in Dortmund, bei dem es um den Klimaschutz geht.

Was macht die wissenschaftliche Arbeit im Ruhrgebiet für Sie aus?

Ich merke das immer wieder in der Projektarbeit mit den verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern: Die Menschen hier sind sehr direkt. Außerdem arbeiten hier alle Hand in Hand, und das in einer sehr starken Anpack-Mentalität. Früher, als hier noch Kohle abgebaut wurde, war es egal, wo die Arbeiter herkommen, ob sie aus Polen, der Türkei oder eben Deutschland sind. Und das zeigt sich auch heute noch. Hier packt man zusammen an, weil man etwas zusammen bewegen will. Auch diese kooperative Kultur, diese Gemeinschafts- und Gemeinwohlidee, die ist stark vertreten, die spielt hier eine Rolle. Und das passt ja wiederum zum Gedanken, den wir bei unserer sozialen Innovation als Praktik verfolgen.

Wie schätzen Sie die Zukunft des Ruhrgebiets ein, und zwar in Bezug auf den Verlauf der (verschiedenen) Transformation(en)?  

Das Ruhrgebiet wurde in den vergangenen Jahrzehnten von Umbruchprozessen geprägt. Wenn der angesprochene Konsens hier eine Orientierung für Wirtschaft, Bevölkerung, Wissenschaft und Politik vorgibt, dann sollte diese Transformation für ein lebenswertes Ruhrgebiet gelingen. Die besondere Herausforderung liegt darin, benachteiligte Bevölkerungsgruppen nicht zu vergessen, sondern differenzierte Lösungen zu schaffen, von denen alle profitieren. Das ist das Spannende und gleichzeitig das Potenzial des Ruhrgebietes.

Titel-Foto: Stadt Dortmund, Roland Gorecki

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