Wie sich das Ruhrgebiet zum Hotspot für Cybersecurity entwickelt hat

Im Ruhrgebiet tummelt sich alles, was in Sachen IT-Sicherheit Rang und Namen hat. Wie es dazu kam – und inwiefern sich mit Unternehmen und Start-ups Synergien ergeben.

1985: Andreas Lüning und Kai Figge gründen in Bochum G DATA CyberDefense. 1987 entwickelt Lüning die erste Antiviren-Software und sorgt vom Ruhrgebiet aus für die Sicherheit von Unternehmen, kritischer Infrastrukturen sowie Millionen von Privatkund*innen überall auf der Welt. "Während der ersten Unternehmer-Jahre waren viele der Angriffe kleine Spielereien. Die wirklich betrügerischen Fälle konnte man damals an einer Hand abzählen", sagt Lüning heute. "Der ganz große Dreh kam dann um die Jahrtausendwende, da spricht man das erste Mal von Cyberkriminalität." Neue Technologien, umfangreichere Digitalität, großer Schub: G DATA entwickelt sich über die kommenden Jahrzehnte von einer Vier-Personen-Bude zu einem rund 500-Mitarbeitenden-starken Unternehmen. Über die Jahrzehnte schaffen es die Mitarbeitenden, mit den Unmengen an neuen Technologien und neuartigen Angriffen Schritt zu halten. Mittlerweile gibt es zum Beispiel eine KI-basierte Technologie aus eigener Hand, die Angriffe automatisiert erkennt.

Der Standort von G DATA in Bochum. Foto: G DATA

Mitte der 1990er-Jahre: Dr. Horst Görtz, deutscher Unternehmer für IT-Sicherheit, prägt die Branche im Ruhrgebiet und Umgebung maßgeblich. Neben seinen unternehmerischen Tätigkeiten im Bereich der digitalen Informationstechnik entwickelte er Mitte der 1980er-Jahre gemeinsam mit einem Berliner Fachhochschulprofessor eine Zugangs- und Sicherungssoftware. Das Folgeprodukt gewann später den Golden Award Software of Europe. Görtz‘ Prophezeiung: Angriffe mit schadhaften Code-Viren werden zeitnah stark zunehmen. Die Idee machte sich breit, auf dieses Zukunftsszenario hinzuarbeiten – nicht nur kommerziell, sondern auch durch Lehre und Wissenschaft. Im Jahr 1996 wird die Horst-Görtz-Stiftung gegründet. Förderschwerpunkt unter anderem: Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre auf dem Gebiet der IT-Sicherheit. Die Stiftung wird im Jahr 1999 die Gründung des Horst Görtz Instituts an der Ruhr-Universität Bochum unterstützen.

1997: Da das World Wide Web immer mehr zum Thema wird, erweitert der damalige TÜV Mitte mit Sitz in Essen den eigenen Tätigkeitsbereich. Neuerdings überprüfen die Mitarbeitenden die Sicherheit von Netzwerken. Schwerpunkte bei der Arbeit sind digitale Signaturen und Verschlüsselungstechnologien. Mehr Internet, mehr Aufträge: Da immer mehr Unternehmen ihre Netze prüfen und absichern lassen möchten, gliedert der TÜV Mitte die eigene IT-Sicherheit in diesem Jahr aus. Secunet Security Networks entsteht. Das Unternehmen wächst rasant – und zieht viele Fachkräfte nach Essen.

2002: Das Horst Görtz Institut wird an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) gegründet. Das Jahr ist der Start für die heute größte Einrichtung zur Grundlagenforschung der IT-Sicherheit. Namenspatron ist Dr. Horst Görtz. Seine Gründungsspende hat den entscheidenden Grundstein zum Aufbau des Instituts gelegt. Die Idee zum Gründen des Forschungsinstituts an der RUB hatten Verantwortliche bereits im Jahr 1999. Ein Jahr später hatte die Hochschule Kryptograph Hans Dobbertin sowie den Experten für eingebettete Sicherheit Christof Paar als erste Professoren am Institut einberufen.

Luftbild der RUB, an der das HGI angesiedelt ist.  Bild: RUB, Katja Marquard

Bild oben links: Luftbild der RUB, an der das HGI angesiedelt ist. Credits: RUB, Katja Marquard // Bild oben rechts: Kryptograph Hans Dobbertin bei der Eröffnung des HGI 2003. Credits: RUB, HGI //  Bild unten links: Kryptograph Christof Paar bei seiner Arbeit am HGI im Jahr 2009. Credits: RUB, HGI // Bild unten rechts: Gruppenbild von HGI-Mitwirkenden. Credits: RUB, Katja Marquard

2005: Informatikprofessor Norbert Pohlmann gründet das Institut für Internet-Sicherheit - if(is), eine unabhängige, wissenschaftliche Einrichtung der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen (WH). Seit der offiziellen Eröffnung durch den damaligen Bundesminister des Innern Dr. Otto Schily im Mai 2005 hat das Forscher*innen-Team das Institut schnell zu einer der bedeutendsten Kompetenzen für Internet-Sicherheit entwickelt. Aktuell studieren circa 60 Menschen dort den Master Internet-Sicherheit – und jedes Jahr gibt es viele Absolvent*innen, die das Fachwissen in Start-ups und Unternehmen vor Ort bringen.

Pohlmann hatte eineinhalb Jahre zuvor angefangen, an der WH zu lehren. Im Fachbereich Informatik und Kommunikation spezialisiert er sich auf Cyber-Sicherheit. Der Professor gilt als wichtiger Netzwerker der IT-Sicherheitsbranche – vor allem im Ruhrgebiet. Er kennt Dr. Horst Görtz gut, weil dieser der Aufsichtsratsvorsitzende und Pohlmann im Vorstand bei der Utimaco-Safeware AG war. Daher stand er auch im engen Austausch mit dem Horst Görtz Institut (HGI), als es um dessen Gründung ging und hatte in der Anfangszeit dort einen Lehrauftrag. Pohlmann ist in vielen relevanten Gremien sowie Verbänden sehr aktiv und hält intensiven Kontakt zu seinen Studierenden sowie Absolvent*innen. 2011 war er "Professor des Jahres" in der Kategorie "Ingenieurswissenschaften / Informatik". Bislang hat er vier Ausgründungen aus dem Institut für Internet-Sicherheit mitbetreut. Auch mit dem Bochumer Hochschulprofessor Christof Paar ist er eng vernetzt. Wissenschaftliche Mitarbeiter der RUB und der WH arbeiten seit Beginn an sehr erfolgreich in Forschungsprojekten zusammen. Neben der gemeinsamen Forschung besteht für die Studierende in Masterstudiengängen die Möglichkeit an der jeweils anderen Hochschule Module zu belegen.

+++ zur Person +++

Informatikprofessor Norbert Pohlmann gründete das Institut für Internet-Sicherheit an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen. Neben seiner Arbeit an der Hochschule ist er in vielen Gremien und Verbänden und gilt als Netzwerker. 

Ab Mitte der 2000er-Jahre: Mit dem fortschreitenden Ausbau der Wissenschaft im Bereich IT-Sicherheit mehrten sich die Synergien. "Wir haben mehr und mehr Absolvent*innen der Universität als Mitarbeitende rekrutiert, Bachelor- und Masterarbeiten begleitet und Veranstaltungen zusammen initiiert", sagt beispielsweise Andreas Lüning, Mitgründer und Geschäftsführer von G DATA, heute. "Es hat sich eine Dynamik entwickelt, von der sowohl die Wissenschaft als auch die Wirtschaft im Ruhrgebiet maßgeblich profitiert haben." Diese enge Zusammenarbeit trägt im Laufe der Jahre auch dazu bei, dass sich aus den Lehrstühlen immer mehr neue Unternehmen ausgründen. Die Ideen aus der Forschung wurden in Taten umgesetzt. Start-ups wie VMRay (2013), PHYSEC (2016) oder AWARE7 (2018) prägen nach und nach den Markt mit und schaffen immer mehr breitflächige Kompetenz in der Metropole Ruhr.

+++ zur Person +++

Andreas Lüning ist Mitgründer und Geschäftsführer von G DATA CyberDefense in Bochum. 1987 entwickelte er die erste Anti-Viren-Software. 

2019: Die Max-Planck-Gesellschaft gründet das Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre (MPI-SP) an der RUB, mit Christof Paar und Gilles Barthe als Gründungsprofessoren. Die Max-Planck-Gesellschaft hatte vorher mit großer Akribie deutsche Universitäten verglichen – und hat sich dabei am Ende für die RUB mit seinem HGI entschieden. Es ergänzt das Themenangebot des HGI. Die Idee: Datenschutz nicht nur rein technisch betrachten, sondern aus der interdisziplinären Sicht. Dazu helfen Fachkräfte aus den Bereichen Sozialwissenschaften, Psychologie oder Recht. Vor allem von der internationalen Reichweite versprechen sich die Initiator*innen viel. Christof Paar zufolge sei die Max-Planck-Gesellschaft jeder*jedem Wissenschaftler*in ein Begriff. Das sei ein Magnet für Spitzenkräfte aus aller Welt.

2018 / 2019 bis heute: Mit der Eröffnung des Innovationsquartiers MARK 51°7 entsteht ein Gewerbegebiet für Unternehmen und Institutionen der Extraklasse. Das HGI und das MPI-SP ziehen auf das Gelände. MARK 51°7 gilt regional sowie über die Grenzen der Metropole hinaus als erstklassige Adresse für das Thema IT-Sicherheit, weshalb es viele Unternehmen und Start-ups der Branche als Standort anzieht. So erhielt Bochum etwa auch den Zuschlag von der Bosch-Gruppe, die mit ihrem Unternehmen für Automotive Security escrypt weltweit einen Standort suchten. Auch Physec, VMRay sowie das IT-Sicherheitsunternehmen SonarSource haben hier ihren Standort.

Das Innovationsquartier MARK 51°7 in Bochum. Foto: MARK 51°7

Zukunftsblick: Es ist viel passiert in den vergangenen knapp 40 Jahren. Auch künftig wird es unzählige neue Technologien geben, die zu neuen Arten von Cyberangriffen führen werden. Die Branche entwickelt sich rasant. Und: "Der Bereich ist riesig groß", sagt Lüning von G DATA. Es gibt also genügend Schwerpunkte im Cluster Cybersecurity, die neue Unternehmen besetzen können. Neugründer*innen sind deswegen im Ruhr-Netzwerk willkommen. Lüning ist sich sicher: "Da ist noch Platz für viele Entwicklungen."

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