Es sind die Menschen, die aus der Metropole Ruhr gemacht haben, was sie heute ist. Und es sind auch die Menschen, die das Ruhrgebiet von morgen gestalten. Ein Kopf der Transformation: Felix Nensa.
Als Felix Nensa im Jahr 2000 seinen Zivildienst in Bochum beginnt, begegnet er einem Menschen, der seine berufliche Zukunft maßgeblich prägen wird. Am Institut für Lungenkrebsfrüherkennung in den Augusta-Kliniken trifft er auf dessen Leiter, Privatdozent Dr. Wolfgang Marek, der Nensa ein wissenschaftlicher Mentor wird. Er steckt Nensa an: mit der Freude, Neues zu entdecken, dem Tüfteln an Ideen, dem Forschergeist. Der inzwischen verstorbene Dr. Marek habe sich die kindliche Neugier, Dinge verstehen zu wollen, immer bewahrt, sagt Nensa. So kommt Nensa auch zum ersten Mal in Kontakt mit dem Thema Künstliche Intelligenz in der Medizin. Heute gibt er als Radiologie-Professor der Universität Duisburg-Essen selbst seinen eigenen Forschergeist weiter.
Wie er die Transformation in der Metropole Ruhr in seinem Beruf mitgestaltet, hat uns Felix Nensa in einem Fragebogen verraten.
Meine Berufsbezeichnung lautet offiziell Professor für Radiologie mit Schwerpunkt KI. Vielleicht trifft es aber “Wissenschaftler mit Drang zur Umsetzung” am besten.
Ich beschäftige mich dabei mit viel mehr als KI in der Radiologie. Es geht zum einen um den Einsatz von KI in der Medizin im Allgemeinen. Wir schauen uns an, wo es Probleme in der Medizin gibt, die wir mit KI lösen können. Manchmal merken wir dabei, dass KI nicht das richtige oder beste Werkzeug ist. Wenn wir eine andere Lösung für das Problem finden und diese technisch umsetzen können, machen wir eben das. Man muss immer aufpassen, dass man nicht in allem einen Nagel sieht, bloß weil man einen Hammer hat.
Zum anderen beschäftigen wir uns sehr viel mit Daten. Daten sind quasi der Treibstoff für das, was wir momentan als KI bezeichnen: maschinelles Lernen. Daten gibt es im Gesundheitswesen viele, aber es ist schwierig, auf sie zuzugreifen. Das hat teilweise gute Gründe, wie Datenschutz und Datensicherheit, liegt aber teilweise auch an den veralteten IT-Strukturen im Gesundheitswesen – oder daran, wie Daten erhoben und gespeichert werden. Teilweise haben wir im Freitext verfasste OP-Berichte, die eingescannt wurden und deswegen als digitale Daten bezeichnet werden. Wir stecken viel Arbeit in die Aufbereitung dieser Daten, damit diese für nachgelagerte Systeme, wie zum Beispiel KI besser zugreifbar werden. Wir sprechen dabei von Datenintegration mit dem Ziel einer sogenannten semantischen Interoperabilität. Diese komplizierte Bezeichnung bedeutet, dass man Daten zum Beispiel von einem Krankenhaus A zu einem Krankenhaus B schicken kann, die Daten in Krankenhaus B unkompliziert in die dortigen IT-Systeme eingelesen werden und die einzelnen Datenpunkte in den Systemen von Krankenhaus B sofort an den richtigen Stellen einsortiert werden. Wer jetzt denkt, dass das doch im Jahr 2024 problemlos flächendeckend möglich sein müsste, hat weit gefehlt. Die Realität sieht so aus, dass das flächendeckend unmöglich ist.
Zusammenfassend würde ich mein Betätigungsfeld als digitale Transformation im Gesundheitswesen bezeichnen.
Am spannendsten an meiner Forschung finde ich es, wenn wir Dinge nicht nur erforschen, sondern auch in die klinische Routine bringen – und ich wirklich erleben kann, wie unsere Arbeit dort konkret zu Verbesserungen führt. Ich habe selbst mehr als zehn Jahre klinisch als Radiologe gearbeitet und weiß sehr gut, wie sehr das ganze System unter Druck steht. Da ist jede Verbesserung hoch willkommen.
Transformation bedeutet für mich, Dinge, Prozesse, Überzeugungen etc. grundsätzlich, aber ergebnisoffen zu hinterfragen und gegebenenfalls ganz anders zu machen als bisher. Immer wenn ich von jemandem höre: “Aber das machen wir hier schon immer so”, dann weiß ich, dass hier Transformation überfällig ist. Transformation erfordert Mut und ein dickes Fell, weil man krachend scheitern kann und dann alle sagen: “Das haben wir doch gleich gesagt”.
Ich gestalte die Transformation (im Ruhrgebiet) mit meiner Forschung mit, indem ich an der Universitätsmedizin Essen mithelfe, einen Leuchtturm für die digitale Transformation des Gesundheitswesens zu entwickeln, an dem sich hoffentlich auch andere Kliniken und Versorger orientieren können. Wenn wir voranschreiten und zeigen, dass es trotz aller Schwierigkeiten geht, werden andere bestimmt folgen. Dabei hoffe ich, dass das Potential des Ruhrgebiets für Transformation und Innovation sichtbarer wird. Wir haben hier drei große Universitäten und viele sehr gute Fachhochschulen, die für bestens ausgebildeten Nachwuchs sorgen, wir haben neben der Universitätsmedizin Essen mehrere weitere Maximalversorger und viele weitere Kliniken, wir haben bezahlbaren Wohnraum, gute Infrastruktur, kulturelle Vielfalt und viele Naherholungsmöglichkeiten. Das Ruhrgebiet ist also für junge Leute, die zum Beispiel im Gesundheitswesen etwas bewegen wollen, wirklich ein Top Spot. Ich hoffe, dass das in der öffentlichen Wahrnehmung noch präsenter wird; dass sich das Ruhrgebiet zu einem Innovationshub im Bereich digitaler Gesundheit entwickelt; und dass das die Ansiedlung von mehr Firmen aus diesem Bereich bewirkt. Das Potential ist riesig.
Ohne die Forschung an meinem Institut wäre mir langweilig.
Die Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Instituten im Ruhrgebiet bedeutet für mich eine große Möglichkeit, deren Potential wir noch längst nicht ausschöpfen. Natürlich haben wir viele Kooperationen mit anderen Einrichtungen im Ruhrgebiet. Aber ich bin mir sicher, dass es hier noch ganz viele “Matches” gibt, die sich noch gar nicht kennen. Ich würde das aber auch nicht nur auf wissenschaftliche Institute beschränken. Wir haben auch viele Firmen und öffentliche Einrichtungen, die nicht unbedingt wissenschaftlich ausgerichtet sind, mit denen man sehr gut kooperieren kann.
Das Ruhrgebiet ist für mich zunächst mal Heimat und Wohlfühlregion. Das prägendste und wichtigste sind für mich die Menschen im Ruhrgebiet. Man kann das natürlich nicht einfach pauschalisieren, aber ich habe es auch schon von so vielen zugezogenen Kolleg*innen gehört, die die Menschen hier als offen, unkompliziert, tolerant und irgendwie “Hands-on” beschreiben. Und das ist genau auch meine Wahrnehmung. Ich mag diese Eigenschaften an anderen Menschen zum einen persönlich sehr. Zum anderen ist es genau das, was man für Transformation braucht, was ja auch nicht so überraschend ist, wenn man sich die wechselvolle Geschichte des Ruhrgebiets anschaut. Darüber hinaus ist die Lebensqualität im Ruhrgebiet einfach sehr hoch. Wie oben schon beschrieben, gibt es hier eigentlich alles, was man zum guten Leben braucht, außer vielleicht das Meer und die Berge (aber dafür haben wir den Rhein-Herne Kanal und die Halden), und es gibt auch für jemanden, der schon über 40 Jahre hier lebt immer wieder Neues zu entdecken, weil ständig irgendwo etwas entsteht. Das Ruhrgebiet ist total dynamisch. Hier wird einem nie langweilig.
Bilder: Universität Duisburg-Essen