Von Bochum in die Welt – mit der Sonne im Tank

In 86 Tagen mit dem Auto durch Europa – ohne zu tanken. Das SolarCar-Projekt der Hochschule Bochum hat gezeigt, wie weit nachhaltiges Reisen schon heute möglich ist und wo die Grenzen sind.

Sie wären fast vom Regen weggespült worden, haben allein das Getriebe ihres Autos ausgetauscht und mussten feststellen, dass unverpackte Lebensmittel gar nicht so einfach zu finden sind. Die Mitglieder des SolarCar-Teams der Hochschule Bochum haben mit dem Auto in 86 Tagen 24 europäische Länder bereist – vollelektrisch, nachhaltig und mit der Kraft der Sonne. Die Studierenden haben damit ein seit mehr als 20 Jahren laufendes Projekt ihrer Hochschule neu gedacht und an die Herausforderungen der Zukunft angepasst.

Professor Friedbert Pautzke startete 1999 das Ausbildungsprojekt SolarCar an der Hochschule Bochum. Seitdem entwickeln die Teams, bestehend aus 15 bis zu 25 Studierenden verschiedener Fachrichtungen, alle zwei Jahre ein völlig neues, ultraleichtes und aerodynamisch optimiertes Elektrofahrzeug, das seine Energie mit Solarmodulen direkt aus dem Sonnenlicht gewinnt. "Studierende lernen anhand von realen und praxisnahen Herausforderungen, wie sie sie später auch in der Industrie vorfinden", erzählt die diesjährige Fachteamleiterin für Marketing und Nachhaltigkeit, Xenia Wiedenmannott, die sich aktuell im Masterstudium Nachhaltige Entwicklung befindet.

Nachhaltigkeit ist viel wichtiger geworden

Dieses Mal hat das Team etwas völlig anderes ausprobiert: Statt am Reißbrett ein aerodynamisch optimiertes Einzelstück zu entwickeln, kauften sie einen gebrauchten Land Rover Defender 110 von 2003 – liebevoll Landy genannt. Der Wagen hatte einen Motorschaden, was den Studierenden aber gerade recht kam. Denn: Dort, wo früher mal ein Dieselmotor den Landy bewegte, sollte nun der Elektromotor und die Lithium-Ionen-Batterie eines verunfallten Tesla S für Vortrieb sorgen. "Wir wollten keine neuen Ressourcen verwenden, sondern zeigen, dass wir die Mobilitätswende auch mit gebrauchten Bestandsfahrzeugen schaffen können", sagt Wiedenmannott.

Beim Projekt SolarCar geht es allerdings nicht nur um Elektromobilität. Das Fahrzeug muss in der Lage sein, sich selbst mit Energie zu versorgen. Das schafft der Landy mit einem an der Hochschule Bochum entwickelten Aufbau. Der sieht aus wie eine Dachbox, doch anders als in den üblichen Boxen verstecken sich in dieser Variante 36 Quadratmeter Solarmodule – praktisch falt- und ausziehbar. "Wir können damit den Landy durch die Wüste fahren", sagt Wiedemannot. "Wenn ein Diesel leer ist, dann ist er leer. Mit unserer mobilen Solar-Tankstelle können wir bei Sonnenschein die Batterie in acht bis zehn Stunden wieder voll aufladen."

Wenn ein Diesel leer ist, dann ist er leer. Mit unserer mobilen Solar-Tankstelle können wir bei Sonnenschein die Batterie in acht bis zehn Stunden wieder voll aufladen.
Xenia Wiedenmannott, Fachteamleiterin für Marketing und Nachhaltigkeit bei SolarCar

Vom Ruhrgebiet in die Welt hinaus

Und üblicherweise ging es mit den SolarCars auch immer in die Wüste. In den vergangenen Jahren war das Ziel des Projekts, an der "Bridgestone World Solar Challenge" in Australien teilzunehmen, einem internationalen Wettbewerb zwischen solarbetriebenen Fahrzeugen. Das passte nun allerdings nicht mehr zum nachhaltigen Ansatz des Teams. "Früher sind wir mit 60 Studierenden nach Australien geflogen, haben vorher das SolarCar dorthin verschifft. Das ganze Fahrzeug bestand zudem aus Carbon. Das war alles absolut nicht nachhaltig", sagt Wiedenmannott. "Nachhaltigkeit ist für uns einfach viel, viel wichtiger geworden." Deshalb entschied sich das Team für eine dreimonatige vollelektrische Europatour: vom Ruhrgebiet in die Welt hinaus. Insgesamt 7.500 Kilometer.

Das Thema Nachhaltigkeit war bei dieser Tour allerdings nicht nur bei beim Fortbewegungsmittel wichtig. Vielmehr wollten die Studierenden die gesamte Reise nachhaltig planen und umsetzen. Deo, Shampoo, Seife, Zahnpasta: Auf Wegwerfverpackungen wollten sie während der Reise so weit wie möglich verzichten. Auch Lebensmittel sollten, wenn möglich, nur unverpackt im Einkaufswagen landen. Außerdem wollten die Studierenden erfahren, welchen Stellenwert das Thema Nachhaltigkeit in anderen europäischen Ländern einnimmt.

Studierende mit Herzblut und vollem Einsatz dabei

Doch bevor es losgehen konnte, musste das Team einiges an Vorarbeit leisten. Das Ausbildungsprojekt entsteht in Eigenregie aller Beteiligten. Alles – vom Umbau des Land Rovers, der Finanzierung bis zur Organisation der Europatour – organisieren die Studierenden freiwillig und neben ihrem Studienalltag selbst. "Man lebt quasi für das Projekt", gesteht Wiedenmannott, die seit 2018 bei SolarCar mitmacht.

Im Sommer 2022 war es endlich soweit. Von Bochum ging es erstmal bis auf einen Zeltplatz im niedersächsischen Melle. 150 Kilometer geschafft mit der Kraft der Sonne. Die Höchstgeschwindigkeit dabei: 60 Kilometer pro Stunde. Mehr war auf Grund vom im Landy verbauten Getriebe nicht möglich. Mit dabei waren neben dem umgebauten Land Rover auch noch zwei vollelektrische E-Transporter, die als rollende Werkstatt, Stauraum und Büro dienten. Die Begleitfahrzeuge waren allerdings ein Grund, warum die Tour Richtung Norden nicht bis zum Nordkap, sondern nur bis Stockholm führen konnte: Die Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge reicht noch nicht bis zum nördlichsten Punkt Europas. Immerhin: der Landy allein hätte es wohl geschafft.  

Das SolarCar-Team der Hochschule Bochum

Austausch mit Expert*innen über die Grenzen hinaus

Auf der Tour tauschten sich die 14 Studierenden, die die Reise begleitet haben, mit Interessierten und Expert*innen an verschiedenen europäischen Universitäten aus. Bei Stopps in Stockholm, dem litauischen Kaunas oder Budapest ging es in Workshops und Gesprächen um E-Fahrzeuge, die Mobilitätswende und nachhaltiges Reisen. Außerdem wurde viel gebaut und geschraubt. In Lettland musste das gesamte Getriebe des Landys gewechselt werden, um schneller fahren zu können. In Litauen löste sich regelmäßig die Kardanwelle. Und in Italien verbesserten sie die aerodynamische Dachkonstruktion.

86 Tage, einen überschwemmten schweizerischen Zeltplatz, unzählige Ladevorgänge und noch mehr Eindrücke später, ist das SolarCar-Team wieder zurück in Bochum. Das Ende der Reise ist natürlich nicht das Ende der Arbeit. Jetzt gilt es die Erfahrungen zu systematisieren, auszuwerten und zu veröffentlichen – schließlich passieren all diese praktischen Erfahrungen an einer Hochschule mitten im Ruhrgebiet. Für Wiedenmannott passt das ganz wunderbar zusammen: "Wenn ich eins festgestellt habe, dann dass sich das Ruhrgebiet durch seine Vernetzung als Technologie-Standort auszeichnet. Es gibt viele kleine, mittelständische und auch große Unternehmen auf so engem Raum. Das ist gerade für diejenigen, die jetzt in solchen Projekten wie SolarCar sind ein echter Vorteil, dieses ganze Netzwerk nutzen zu können."

Bilder: SolarCar-Projekt der Hochschule Bochum

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