Donnerstag, 06. Juni 2019

"Endlich mal was Reales!"

In der Metropole Ruhr boomt die B2B-Start-up-Szene

Essen. Vor dem Hintergrund des digitalen Wandels nimmt die Bedeutung von B2B-Start-ups für etablierte Unternehmen signifikant zu. Sie sind agil, preschen voran und schaffen innovative Lösungen für Kunden jeglicher Größe. In der Metropole Ruhr hat sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre eine starke B2B-Start-up-Szene entwickelt. Sie profitiert von der enormen Wirtschaftskraft und dem hohen Know-how der Region.

Ein Draht, aufgewickelt zur Feder. Dr.-Ing. Burkhard Maaß nimmt ihn in die Hand, zieht ihn auseinander und verbiegt ihn mehrmals. Formgedächtnislegierung nennt der CEO und Mitbegründer des Bochumer Start-ups Ingpuls GmbH den metallischen Werkstoff, dessen herausragende Eigenschaft sich nachhaltig ins Gedächtnis einbrennt, sobald er ihn in heißes Wasser wirft: Wie von Zauberhand nimmt der Draht wieder seine ursprüngliche Federform an.

Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Das Material kann überall dort verwendet werden, wo Stellbewegungen erforderlich sind – im Haushalt, im Smartphone, im Satelliten oder sogar als Funktionsimplantat im menschlichen Körper. Die wissenschaftlichen Grundlagen dafür sind seit den 1960er-Jahren bekannt und es gab in den Folgejahren erste erfolgreiche Anwendungen in der Medizintechnik. Der Rollout der Technologie auch in andere Märkte – z. B. Automotive – erfolgt nun durch die Ingpuls GmbH. In allen neuen Benzinmotoren von Mercedes-Benz findet sich die Technik „made in Metropole Ruhr“. Vor rund fünf Jahren rannte Maaß mit der Gründungsidee bei Banken offene Türen ein: „Endlich mal etwas Reales!“, freuten sich die Kreditgeber, die bis dato vornehmlich digitale Gründungsvorhaben begleiteten.

Herz der Gründerszene in NRW

Mittlerweile gilt die Metropole Ruhr als „die“ Start-up-Region im B2B-Bereich. Darauf weist schon allein der „Startup Monitor für Nordrhein-Westfalen 2019“ hin. Die in NRW ansässigen Start-ups machen 73,4 Prozent ihres Umsatzes in B2B-Bereich, ein Wert, der deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 67,7 Prozent liegt. Mit Köln und Düsseldorf bildet die Metropole Ruhr das Herz der nordrhein-westfälischen Gründerszene. Dabei sieht sich fast die Hälfte der in der Studie befragten Unternehmen als Teil eines regionalen Clusters.

Großes Know-how

Viele der B2B-Start-ups investieren hierzulande in „handfeste“ Investitionsgüter und Produktionsanlagen. Das liegt zum einen daran, dass sich in der Region genug Fachleute vom Feinmechaniker bis hin zum Stahlkocher finden, die wissen, wie man Maschinen bedient. „Wir sind auf dieses Know-how total angewiesen“, sagt Ingpuls-CEO Burkhard Maaß. Zum anderen ist die Metropole Ruhr auch ein riesiger Markt für den B2B-Bereich. 155.000 Unternehmen, darunter vier DAX-Konzerne, verhelfen mit einem Jahresumsatz von 338 Milliarden Euro zu einer enormen Wirtschaftskraft. Die potenziellen Kunden und Forschungspartner sind direkt um die Ecke.

Weiterentwickelte Prozesse

Davon profitiert auch das Unternehmen talpasolution aus Essen. Das Start-up hat eine Software entwickelt, mit der ungeplante Ausfälle von weltweit im Bergbau verwendeten Lastwagen vermieden werden können. Für seine Telematik-Lösung nutzte es das Know-how des hiesigen Bergbaus – und entwickelte damit die aus der Region hervorgegangenen industriellen Prozesse weiter. Unterstützt wird talpasolution von dem gemeinsam von NRW.BANK und Initiativkreis Ruhr ins Leben gerufenen Gründerfonds mit 1,5 Millionen Euro Eigenkapital. Der Fonds stellt insgesamt 30 Millionen Euro für direkte Start-up-Investitionen zur Verfügung.

Kreative Lösungen

Die Start-ups sorgen im B2B-Bereich für Impulse: „Sie schaffen kreative Lösungen, fernab von politischen Grabenkämpfen und Grundsatzentscheidungen“, erklärt Oliver Weimann. Als Geschäftsführer des ruhr:Hub unterstützt er im Auftrag des Wirtschaftsministeriums und von sechs Städten des Ruhrgebiets die regionale Start-up-Community, die er auf 400 bis 500 Teams schätzt. „Diese widmen sich nicht nur technischen B2B-Lösungen in den Bereichen Augmented und Virtual Reality, Business Intelligence, Artifial Intelligence, Sensorik und Robotik, sondern sind auch stark in den Clustern Cyber-Security, Healthcare und Environmental Tech“, sagt Weimann.

Cyber-Security

So ist im Umfeld der Ruhr-Universität Bochum ein deutschlandweit einzigartiges Zentrum für Cybersicherheit entstanden. Der Inkubator Cube 5 am Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit hat bereits zahlreiche Start-ups auf dem Gebiet der Cyber-Security hervorgebracht. Auch das 2017 eröffnete Center for Advanced Internet Studies (CAIS), das zu unterschiedlichsten gesellschaftlichen Aspekten der Digitalisierung forscht, hat seinen Sitz in Bochum. Dazu kommt künftig noch das geplante Max-Planck-Institut für Cybersicherheit und Schutz der Privatsphäre, das in Bochum Grundlagenforschung zu Cybersicherheit, Kryptografie, IT-Systemsicherheit sowie zu rechtlichen, ökonomischen und sozialen Aspekten von Sicherheit und Privatsphäre betreibt. Beim Thema E-Health sind mit opta data und Bitmarck zwei Schwergewichte im Bereich Gesundheitsdaten in der Region ansässig. „Die Kliniken zeigen großes Interesse an der Kooperation mit Start-ups“, weiß Oliver Weimann.

Attraktive Region

Die Start-ups bringen die Metropole Ruhr weiter nach vorne. „Sie schaffen als Arbeitgeber neue und häufig hochinteressante Arbeitsplätze. Sie machen die Region für junge, hochqualifizierte Menschen attraktiv. Und sie tragen maßgeblich dazu bei, etablierten Unternehmen bei der digitalen Transformation zu helfen“, betont Oliver Weimann. Das bedeutet: Progressive Unternehmen aus ganz Deutschland sind gut beraten, sich in Richtung Ruhrgebiet zu vernetzen und von der Innovationskraft der Start-ups der Metropole Ruhr zu profitieren.

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