Was das Ruhrgebiet touristisch einmalig macht

Industriekultur und Natur gehen in der Metropole Ruhr eine außergewöhnliche Verbindung ein, die das Wachstum fördert.

Der Berg hat gerufen und bislang kamen über 200.000. Diesmal nicht zum echten Matterhorn, sondern zu einer monumentalen Nachbildung des Schweizer Postkartenberges. Mit 3D-Projektionen wechselnder Tages- und Jahreszeiten ist er in Szene gesetzt. Seitenverkehrt schwebt die 17 Meter hohe Spitze im riesigen Raum des Gasometers Oberhausen. Hier spiegelt sie sich im Fußboden der obersten Ebene dieser höchsten Ausstellungshalle Europas. 

Solche Besucherzahlen sind für den Gasometer seit Jahren keine Seltenheit. 1994 machte die Ausstellung „Feuer und Flamme“ den Auftakt und hatte gleich großen Zulauf. Nach „Der Ball ist rund“ und Christo, der mit der farbenfrohen Tonnenwand „The Wall“ und der luftigen Skulptur „Big Air Package“ schon zweimal im Gasometer Station machte, brachte es 2016 die Ausstellung „Wunder der Natur“ mit 150 großformatigen Fotos berühmter Fotografen und einer im schwarzen Raum schwebenden Weltkugel auf 1,3 Millionen Besucher – die erfolgreichste Einzelausstellung Deutschlands in diesem Jahr. 

Freizeit und Events: einmalige Vielfalt in der Stadt der Städte

Mit einer Vielzahl solch außergewöhnlicher Kulturereignisse und erfahrbarer Natur hat die Metropole Ruhr eine lebenswerte Umgebung für ihre Bürger und gleichzeitig einen einmaligen Markenkern im Tourismus geschaffen. Daraus ist im Laufe vieler Jahre des Strukturwandels eine breite Dienstleistungswirtschaft entstanden, die sich um alles rankt, was die frei verfügbaren Stunden des Lebens schön gestaltet: Theater und Kleinkunst genauso wie audiovisuelle Medien, Unterhaltungselektronik und Zeitschriften, aber auch Hotels und Gastronomie, Reise- und Redaktionsbüros, Messen und Sportanlagen, Verlage und Werbeagenturen sowie Betriebe in historischen Stätten, Zoos und Themenparks. 

Diesen Markt der Freizeit und Events hat der Regionalverband Ruhr (RVR) für die Metropolregion als wichtigen Leitmarkt identifiziert, ist er doch ein maßgeblicher Umsatzbringer und Arbeitsplatzanbieter. 2017 zählten die Unternehmen in diesem Sektor zusammen 84.870 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte – im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 2,2 Prozent. Damit stellten sie fünf Prozent aller Arbeitsplätze in der Metropole Ruhr. Den größten Anteil daran hatten mit rund 53 Prozent die Kernbereiche Event und Freizeit sowie Sport und Tourismus. Regional profitierten von diesem Aufschwung besonders die Städte Bottrop, Essen und Oberhausen. 

Metropole Ruhr immer beliebter bei Touristen

Über acht Millionen Übernachtungen zählte die Ruhr Tourismus GmbH (RTG) 2017 in der Metropole Ruhr. Seit Jahren steigen die Zahlen, diesmal um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Privattouristen und Geschäftsreisende teilen sich diese Entwicklung nahezu halbe-halbe. Dabei hat sich die Attraktivität der Region herumgesprochen: Immerhin 1,4 Millionen Gäste kommen inzwischen aus dem Ausland – die meisten davon aus den Niederlanden – und wieder mal 3,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Als Folge daraus zeigt auch die Zahl der Bettenbuchungen, sogar in Relation zu anderen nordrhein-westfälischen und deutschen Regionen, ein starkes Wachstum. 

Unser Ziel ist es, im Jahr 2030 zu den ‚Magic Cities‘ zu gehören, den zehn touristisch erfolgreichsten und attraktivsten Großstädten Deutschlands
RTG-Geschäftsführer Axel Biermann

Doch darauf ruht sich die Ruhr Tourismus GmbH nicht aus: „Unser Ziel ist es, im Jahr 2030 zu den ‚Magic Cities‘ zu gehören, den zehn touristisch erfolgreichsten und attraktivsten Großstädten Deutschlands“, sagt RTG-Geschäftsführer Axel Biermann. Investitionen in Hotelbauten, vor allem in Essen, Dortmund, Duisburg und Oberhausen, treiben die Vision voran – 20 Millionen Übernachtungen im Jahr seien künftig möglich. Als Reiseziele locken die Kurzzeittouristen besonders das Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen und der Landschaftspark Duisburg-Nord – Industriegelände, die Kulturfreunde wie Familien zu Fuß oder per Rad durchstreifen können. Als Anziehungspunkt fürs Shopping setzt das Centro in Oberhausen einen Kontrapunkt. Und Wellness-Fans zieht es in die Revierparks der Freizeitgesellschaft Metropole Ruhr – etwa Vonderort an der Stadtgrenze zwischen Oberhausen und Bottrop mit Freizeitbad und Sportstätten. 
 

Industriekultur als Bühne für Events aller Art

Darüber hinaus haben es die Kultur-Macher in der Region verstanden, die alte Industriearchitektur, Produktionsstätten und Zechenlandschaften als Bühne für eine große Vielfalt kreativer Events zu nutzen. Zum Beispiel bietet seit 2001 jedes Jahr am letzten Samstag im Juni das Kulturfestival „ExtraSchicht“ eine Nacht der Industriekultur, bei der 50 Spielorte in 22 Städten durch Pendelbusse verbunden und erlebbar werden. Die Besucher kommen, um 500 Events von klassischer Musik und Theater über Comedy bis hin zum Höhenfeuerwerk in ehemaligen Industrieanlagen, Museen und Landmarken zu genießen. 2018 lag der thematische Schwerpunkt auf dem nahenden Ende des Steinkohlebergbaus zum Ende des Jahres und sorgte etwa in den Zechen Lohberg in Dinslaken und Zollverein in Essen für einen starken Publikumszustrom. Dabei bietet die „ExtraSchicht“ insbesondere der freien Szene sowie jungen Künstlerinnen und Künstlern eine Präsentationsplattform. 

Dabei ist es gar nicht unbedingt Ziel, alle Stationen zwischen Duisburg und Dortmund zu besuchen – die meisten genießen das Ambiente aus Lichtinstallationen, Musik, Tanz und Theater in einer Teilregion. „Wenn man sich ein Gebiet herauspickt, kann man die Stimmung dort intensiver auf sich wirken lassen“, sagt Sebastian Eck, Leiter der RTG-Event-Abteilung, und verspricht auch für die Zukunft neue Hotspots in den traditionsreichen Industriekulissen. „Man muss einfach jedes Jahr wiederkommen.“ Genau das tun auch viele und bringen gleich viele neue „ExtraSchichtgänger“ mit: 2017 waren es bereits über 200.000 Besucher, 2018 noch 65.000 mehr. 

Ruhrfestspiele und Ruhrtriennale ziehen Besucher in ihren Bann

Ähnliches gilt auch für die Ruhrfestspiele, die im Frühjahr 2018 fast 85.000 Besucher ins Festspielhaus nach Recklinghausen und zu weiteren Spielorten zogen. Das älteste Theaterfestival Europas erinnert daran, dass Bergleute im Nachkriegswinter 1947/48 Kohle an der Besatzungsmacht vorbei in die Hamburger Theater schleusten. Die hanseatischen Schauspieler bedankten sich mit einem Gastspiel. Der kleine Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Das Festival startet immer am 1. Mai mit einem Kulturvolksfest und setzt danach auf innovative künstlerische Konzepte, die ihm, so heißt es in einem Bericht des WDR, den Ruf als „Bayreuth des Ruhrgebiets“ einbrachten. 

Kleiner und kulturell feiner tritt die Ruhrtriennale seit 2002 auf. Sechs Wochen im August und September bespielen zeitgenössische Künstler Bergbaubrachen und monumentale Industriearchitektur. Musiktheater und Tanz, bildende Kunst und Schauspiel auf Halden, in der Jahrhunderthalle Bochum oder der Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck zogen 2017 ganze 34.000 Besucher in ihren Bann.

Über 1.200 Kilometer Radwegenetz in der Metropole Ruhr

Die wiederbelebten Maschinenhallen, Kokereien und Stahlwerke lassen sich aber nicht nur bei kulturellen Events erleben. Sie liegen auch am Wegesrand all jener, die die Naturschönheit der Metropole Ruhr auf einem Radwegenetz von 1.200 Kilometern erkunden. Allein 700 Kilometer lang führt die „Route der Industriekultur“ auf meist flachen Strecken über ehemalige Bahntrassen und Kanaluferwege. Für Anstiege zur Haldenkunst wie „Tiger & Turtle“ in Duisburg, Hoheward in Herten oder Haniel in Bottrop können Radfahrer nach Belieben auch vom Rad auf die Füße umsteigen. Der Ruhrtal-Radweg mit seinen 240 Kilometern von der Quelle in Winterberg bis zur Steele Rheinorange in Duisburg, wo die Ruhr in den Rhein strömt, wurde vom ADFC als 4-Sterne-Qualitätsradroute ausgezeichnet. 

Emscher-Route, Ruhrtal-Radweg, RS 1

An einem anderen Gewässer entlang führt die Emscher-Route. Seit dem Beginn der Renaturierung ist die Emscher wieder ein Fluss, der durch schöne Uferstrecken statt durch Abwassergestank von sich reden macht. Der Phoenix-See in Dortmund und Kunstfiguren wie der Herkules von Markus Lüpertz im Gelsenkirchener Nordsternpark sind Stationen einer mehrtägigen Radtour zur Mündung der Emscher in Dinslaken. Seit dem Kulturhauptstadtsjahr 2010 werden alle drei Jahre Künstler dazu eingeladen, an der Emscher ihre Werke aufzubauen. 2016 besuchten 260.000 Gäste die „Emscherkunst“, die sich mit bekannten Künstlern wie Ai Weiwei ab der Quelle bei Holzwickede über 50 Kilometer entlang der renaturierten Emscher zog. 

2019 wird ein anderes Stück Fluss Ausstellungsraum sein. Gäste, die für eine Ruhrreviertour kein eigenes Rad dabei haben, können die Fahrradverleihstationen von Revier-Rad und Metropolradruhr aufsuchen – an Hauptbahnhöfen und zentralen Sehenswürdigkeiten. Denn Radeln passt zur Ruhrmetropole – und wird deshalb weiterentwickelt. Im Bau ist der Radschnellweg RS 1, auf dem es ganz ohne Ampeln und ohne Fußgänger von Duisburg nach Hamm gehen soll. Die erste Etappe von Mülheim nach Essen ist bereits befahrbar. 

Ganz viel Natur und Grün sieht der Besucher auch vom 117 Meter hohen Dach des Gasometers Oberhausen. Hier ruft die Aussichtsplattform auf dem Berg vor allem dazu auf, die Landschaft und Kultur zu den Füßen noch intensiver zu erkunden. 
 

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