„Die Metropole Ruhr ist eine digitale Vorzeigeregion Deutschlands“

Leif Grundmann ist Geschäftsführer von MedEcon Ruhr, dem Netzwerk der Gesundheitswirtschaft im Ruhrgebiet. Im Interview spricht er über den digitalen Strukturwandel in Deutschlands größtem Ballungsraum. 

Herr Grundmann, wann und mit welcher Vision wurde MedEcon Ruhr gegründet?  

Der Verein MedEcon Ruhr wurde im Mai 2007 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Vorläuferinitiativen, die sich auf den Bereich der Gesundheitstechnologie, insbesondere auch auf digitale Lösungen, konzentrierten. Die Kernidee von MedEcon war es, eine Brücke zum Gesundheitsmarkt an der Ruhr zu schlagen, insbesondere zur hiesigen Kliniklandschaft – ein riesiger Absatzmarkt, den MedEcon als Referenzmarkt für Gesundheitsinnovationen profilieren will.  

Hierfür war wiederum folgendes Problem anzugehen: Wir haben in den Städten unserer Region unterschiedlichste, sich häufig ergänzende medizinische, technologische, versorgende und gewerbliche Kompetenzen. Die kamen zum damaligen Zeitpunkt kaum miteinander ‚ins Geschäft‘. Darunter litten auch die regionale Sichtbarkeit und Attraktivität für Fördermittel und Investitionen. Es brauchte eine Clusterinitiative, die alle Akteur*innen der Gesundheitswirtschaft Ruhr zusammenführt und besser zugänglich macht.  

So wurden der MedEcon Ruhr e. V. und die MedEcon Ruhr GmbH gegründert. Heute umfasst das Team 20 Mitarbeitende und der Verein 176 Mitglieder, darunter gewerbliche Unternehmen - von Start-ups bis zu etablieren Marktführer*innen -, Hochschulen und Institute, Krankenhäuser und weitere Institutionen des Gesundheitswesens. Auch Kommunen und der Regionalverband Ruhr zählen dazu. Gemeinsam wollen wir die Kompetenzen im Ruhrgebiet sichtbarer machen, neue Wertschöpfung generieren und so die Metropolregion nachhaltig stärken. 

Mit welchem Projekt ist MedEcon Ruhr damals an den Start gegangen?  

Das damalige Zentralprojekt hieß "Klinikcluster Ruhr". Es ging darum, Krankenhäuser als Partner*innen im wirtschaftlichen Strukturwandel zu begreifen, den zuliefernden Unternehmen einen konkreten Bezug zu den Herausforderungen des Gesundheitssystems zu geben und dabei die starken gesundheitswissenschaftlichen Kompetenzen der Region einzubinden. Sogenannte Innovations- und Systempartnerschaften zwischen Unternehmen, Kliniken und Wissenschaften waren das Ziel – und eine Vielzahl davon konnte erfolgreich entwickelt werden. Das war der Startschuss und die Basis für unser städte- und sektorenübergreifendes Clustermanagement in der Gesundheitsmetropole Ruhr.  

Welche weiteren Leuchtturmprojekte hat das Netzwerk vorangetrieben? 

Einer unserer Schwerpunkte ist die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Hier wollen wir im Ruhrgebiet aktiv Lösungen entwickeln, die zu den hohen Standards des europäischen Datenschutzes und der Datensensibilität der Menschen in Deutschland gerecht werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Bündnis "connect MT – Verbund für medzinische Telekooperationen", das 2012 unter dem Namen Teleradiologieverbund Ruhr mit damals 20 Pilot-Partner*innen gegründet wurde. Anlass war der Bedarf der Kliniken, den Austausch Bilddaten zu verbessern.  

Die Mediziner*innen wollten – etwa im Fall eines Schlaganfalls – schnell und zuverlässig auf Bilddaten aus der Nachbarklinik zugreifen können, um bestmöglich zu behandeln. Gemeinsam mit der VISUS Health IT GmbH wurde daraufhin eine Plattform entwickelt, über die inzwischen mehr als 650 Kliniken und Arztpraxen auf Knopfdruck elektronische Bilddaten austauschen können. Als Projekt gestartet und bald von der für diesen Zweck gegründete MedEcon Telemedizin GmbH weitergeführt, läuft diese Entwicklung seit zehn Jahren sehr erfolgreich und bringt immer wieder neue Dienstleistungen hervor, zum Beispiel eine KI-gestützte Bildanalyse, die Radiolog*innen bei der Interpretation von Bilddaten unterstützt.  

Ein ganz anderer Schwerpunkt ist die Kinder- und Jugendgesundheit. Wir haben uns vor rund zehn Jahren entschieden, uns noch stärker der Gesundheitsversorgung unseres Ballungsraumes zu widmen. In diesem Sinne haben wir unsere Kinderkliniken, den Verband der Kinder- und Jugendärzt*innen sowie die Kommunen und die Sozialwirtschaft in Initiativen wie "MeKidS.best - Kinderschutz im Ruhrgebiet" und "Gesund Aufwachsen im Revier" zusammengeführt. Übrigens auch ein Feld für unternehmerische Aktivitäten und Ideen, nicht zuletzt im digitalen Kontext. 

Was hat sich im Laufe der Jahre dank MedEcon Ruhr in der Metropole Ruhr getan?  

In den vergangenen 16 Jahren haben wir rund 100 Verbundprojekte organisiert. Dabei sind viele Krankenhäuser und anderen Gesundheitsdienstleister zu dauerhaften Partner*innen im Strukturwandel der Region und ihrer Gesundheitswirtschaft geworden. In Verbindung damit haben sich wiederum viele innovative Unternehmen, insbesondere im Bereich Digital Health, erfolgreich entwickeln können. Und die Zusammenarbeit über die Stadtgrenzen hinaus hat ein Ausmaß angenommen, von dem wir 2007 nur träumen konnten.   

Durch kontinuierliche Medienarbeit sind die Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft regional, landes- und bundesweit sichtbarer geworden und der Informationsfluss hat sich verbessert. Alle Akteur*innen sind enger miteinander vernetzt und die Kooperationsbereitschaft ist gestiegen. Unser Clustermanagement initiiert Projekte und ermöglicht allen Beteiligten, diese aktiv mitzugestalten – und das wird gut angenommen.  

Welchen Beitrag kann die Metropole Ruhr leisten, um den Digitalisierungsprozess im Gesundheitswesen deutschlandweit voranzutreiben? 

Die noch viel zu wenig genutzte Stärke der Region liegt in der Vielfalt und Polyzentralität unseres Ballungsraumes: Mehr Kooperation und Vernetzung über Stadt- und andere Zuständigkeitsgrenzen hinweg ist dringend erforderlich, aber zentralistische Lösungen sind hier definitiv nicht angesagt, sondern dezentral geerdete kollaborative Lösungen entlang der Lebens- und Versorgungswege der Menschen. Genau dies sollte unseres Erachtens auch das Prinzip der Digitalisierung im Gesundheits- und gesamten Sozialwesen insgesamt sein.   

Um den elektronischen Austausch von Patientendaten zwischen den unterschiedlichen Partner*innen mit ihren eigenen Anforderungen zu ermöglichen, entwickeln die regionalen IT-Unternehmen smarte Lösungen, die einen ebenso sicheren und zugleich barrierefreien Datentransfer zwischen den jeweiligen beziehungsweise unterschiedlichen IT-Systemen gewährleisten. Damit hat die Region eine besondere Expertise bei der Lösung von Schnittstellenproblemen im Gesundheitswesen.  

Mit mehr als fünf Millionen Einwohner*innen verfügt die Metropole Ruhr zudem über einen großen Datenschatz, der wesentlich dazu beitragen kann, effizientere Therapien zu entwickeln und die medizinische Versorgung zu verbessern. Aus den vielfältigen Herausforderungen des Ballungsraums entstehen Allianzen wie die "Digital Health Factory Ruhr". Das macht das Ruhrgebiet schon heute zu einer digitalen Vorzeigeregion in Deutschland. Mit der Anfang Juli 2023 ins Leben gerufenen "Koordinierungsstelle Digital Health Ruhr" werden der Gesundheitsstandort und die Entwicklung der Digital-Health-Branche nun weiter gestärkt. 

RVR-Gesundheitsstudie

Digital Health

Nach den Ergebnissen der RVR-Studie "Digital Health: Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft in der Metropole Ruhr" hängt der Erfolg der Digitalisierung des Gesundheitswesens von einem funktionierenden Innovations-Ökosystem ab. Insgesamt verfügt das Ruhrgebiet über eine Vielzahl gut vernetzter Akteure in der Gesundheitswirtschaft. Eine wichtige Rolle spielen dabei standort- und fachübergreifende Netzwerke wie MedEcon. Die Netzwerke koordinieren die Kommunikation und den Wissensaustausch untereinander und unterstützen die Mitglieder dabei, auf dem neusten Stand zu bleiben. Zentrale Akteure im Ökosystem Digital Health sind laut Studie: 

  • die Wissenschaft in Kliniken, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die neue digitale Lösungen entwickelt und in die Praxis überführt
  • Kliniken und niedergelassene Ärzt*innen als Anwender*innen neuer Technologien
  • die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und der Digitalisierung (sowohl etablierte Unternehmen als auch Start-ups), die digitale Produkte vertreiben und neue Produkte auf den Markt bringen  

Was macht das Ruhrgebiet Ihrer Ansicht nach für Unternehmen und Talente aus der Gesundheits- und IT-Branche attraktiv? 

Wir haben hier eine überdurchschnittlich gut aufgestellte Digital-Health-Branche mit vielen großen und mittelständischen Unternehmen. Darunter sind einige Hidden Champions, die zum Beispiel im Bereich Biobanking oder Bilddatenmanagement eine Spitzenposition einnehmen. Viele Unternehmen arbeiten eng mit Start-ups und Universitäten zusammen, sodass Talente sowohl an Forschungsprojekten mitarbeiten als auch in Start-ups oder mittelständischen Unternehmen Karriere machen können. Gleichzeitig ist der Wohnraum hier im Vergleich zu anderen Hot Spots in Deutschland noch bezahlbar und die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Auf kilometerlangen Bahntrassen-Radwegen lässt sich die Region in der bereits erwähnten Vielfalt und Polyzentralität wunderbar per Fahrrad erkunden und es gibt ein riesiges Kultur- und Freizeitangebot. Das Ruhrgebiet bietet kulturelle Offenheit und Vielfalt für alle – ich kann junge Talente nur ermutigen, ins Ruhrgebiet zu kommen.

Foto Header: MedEcon Ruhr / Larssen

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