Vom Druckhaus zum Logistikzentrum

Im Druckhaus der Funke Mediengruppe in Essen kam früher Morgen für Morgen die Tageszeitung für das Ruhrgebiet zu Papier. Vor einem Jahr wurde die Produktion ausgelagert, doch das Gebäude wird nachhaltig und zukunftsorientiert weitergenutzt.

Noch vor zwei Jahren liefen in der riesigen Halle des Funke-Druckhauses im Zentrum von Essen nachts die Rotationspressen auf Hochtouren, um zehntausende Exemplare der WAZ zu produzieren. Zu Stapeln gebündelt landeten sie in Lieferfahrzeugen und wurden im ganzen Ruhrgebiet vor die Haustüren der Abonnent*innen gelegt, damit sich die Menschen pünktlich zum Frühstück über das Weltgeschehen informieren konnten.

Doch mit dem digitalen Wandel werden Nachrichten zunehmend im Internet gelesen. Die Auflage ging zurück und die Funke Mediengruppe verlagerte die Produktion komplett in das Druckhaus Hagen. Das 37.000 Quadratmeter große Gebäude in Essen stand zum Verkauf.

Funke entschied sich für die nachhaltigste Lösung

"Es gab damals andere Interessenten, die das alte Druckhaus abreißen und etwas Neues bauen wollten", erzählt Timm Sassen, Gründer der Essener Greyfield Group – ein Unternehmen, das sich als nachhaltiger Immobilienentwickler auf den Erhalt und die Umnutzung alter Gebäude spezialisiert hat. "Doch Funke hat sich für unser nachhaltiges Konzept entschieden. Das spricht auch für den Verlag, der seine Immobilie und dessen Geschichte liebt und dem das Klima nicht unwichtig ist."

Denn der Erhalt des Gebäudes ist gut für die Umwelt und spart rund 90.000 Kubikmeter Abfall und über 30.000 Tonnen CO2 ein. Schließlich entsteht das klimaschädliche Gas bei jedem neuen Bauprojekt. "Wir nennen das graue Emissionen, also CO2, das während der Bauphase ausgestoßen wird. Die grauen Emissionen eines alten Gebäudes müssen zur Klimabilanz eines Neubaus addiert werden, wenn er es ersetzt", erklärt Sassen. "Wir sparen also viel CO2, indem wir das Druckhaus umnutzen, statt es abzureißen und etwas Neues bauen."

Auch in Zukunft werden in den frühen Morgenstunden Lieferfahrzeuge das Druckhaus verlassen. Allerdings nicht mehr mit Zeitungen im Gepäck, sondern mit Lebensmitteln. Und nicht mehr mit Diesel im Tank, sondern mit Strom in der Batterie. Denn der Online-Lebensmittelhändler Knuspr hat als Ankermieter die Hälfte des Druckhauses als Lager- und Logistikzentrum angemietet und setzt auf E-Mobilität.

Klimaneutraler Lebensmittel-Lieferdienst

"Das Dach der alten Druckerei bietet genügend Platz für eine große Photovoltaikanlage", erklärt Sarah Dungs, Geschäftsführerin der Greyfield Group. "Mit der dort erzeugten Leistung könnte ein Teil der Lieferwagen von Knuspr geladen werden, um die Waren klimafreundlich zu den Menschen nach Hause zu bringen. Der restliche Strombedarf der Nutzer kann durch die vorhandene hohe Anschlussleistung von 10 Megawatt gedeckt werden. Die Mieter im Objekt haben sich gemeinsam mit uns dazu entschlossen, den zusätzlichen Strombedarf ausschließlich aus regenerativen Stromquellen zu beziehen."

Eine Vision, die für immer mehr Städte in Frage kommen dürfte. Denn so wie inzwischen Nachrichten nicht mehr auf Papier, sondern im Netz gelesen werden, werden auch Lebensmittel immer häufiger online bestellt statt im Supermarkt gekauft. Kurze Transportwege sind dabei elementar. Das Funke Druckhaus liegt keine anderthalb Kilometer vom Essener Hauptbahnhof entfernt und ist durch seine zentrale Lage ein idealer Logistikstandort.

Kaufhäuser als Logistikzentren

"Je kürzer die Transportwege, desto nachhaltiger die Lieferung", sagt Sassen. "Hätte Knuspr vor den Toren der Stadt auf der grünen Wiese bauen müssen, wären unnötig Flächen versiegelt, viel CO2 ausgestoßen und die Fahrtwege länger geworden. Alles schlecht fürs Klima."

Für Sassen ist der Online-Lebensmittelhandel die Zukunft. Er kann sich vorstellen, dass auch andere Gebäude in Innenstädten als Logistikzentren für Onlinehändler genutzt werden könnten, zum Beispiel ehemalige Kaufhäuser. "Es gibt da zwar Bedenken, weil mehrgeschossige Lager nach Ansicht von Logistikern zu viel Zeit kosten, aber ich glaube, wir werden Lösungen finden. Zudem können durch geschickte Einschnitte auch Wohnungen in solchen Gebäuden entstehen“, sagt er.

Bereits 85 Prozent des Druckhauses vermietet

Sassen, Dungs und ihre Greyfield Group verstehen sich als kreative Macher*innen in der Immobilienbranche. "Wir sind konzeptionell die Treiber und überlegen uns immer zuerst: Was kann man aus so einem Gebäude machen? Und dann kommen potenzielle Mieterinnen und Mieter hinzu, die ihre eigenen Ideen mitbringen", sagt Dungs.

Im Essener Druckhaus hat das bestens funktioniert. 85 Prozent der Fläche sind bereits vermietet. Neben Knuspr zieht die schwedische PadelOne-Gruppe ein, die in der 3000 Quadratmeter großen ehemaligen Rotationshalle künftig den Trendsport Padel-Tennis anbieten wird. Auf sieben Plätzen können sich Sportbegeisterte dann bei der Mischung aus Tennis und Squash austoben.

Das koreanische Pharmaunternehmen Meta Biomed bezieht rund 830 Quadratmeter, um Medikamente zu lagern und zu vertreiben, und auch der alte Besitzer Funke zieht wieder ein: Im angrenzenden Bürogebäude hat die Mediengruppe ein Callcenter für die Kund*innen-Betreuung eingerichtet. Weitere Mieter*innen sind das Technologieunternehmen Synology und das Online-Start-up "Wir-kaufen-dein-Auto.de", das unter anderem die ehemalige Werkstatthalle nutzt.

Das Druckhaus bekam einen digitalen Zwilling

Um das Gebäude möglichst energieeffizient nutzen zu können, hat die Greyfield Group ein Essener Planungsbüro beauftragt, einen digitalen Zwilling zu erstellen. Damit lässt sich das gesamte Druckhaus nun virtuell abbilden und die Nutzung optimal planen. Darüber hinaus lässt sich so genau bestimmen, welche Ressourcen verbaut sind und die CO2 Emissionen der einzelnen Bauteile sind. "Nur so schaffen wir eine ehrliche CO2-Bilanz."

"Es ist faszinierend, diese Transformation live miterleben zu können", sagt Sassen. "Wenn man in dem Gebäude steht und weiß, hier wurden früher um drei Uhr morgens hektisch die Zeitungsstapel verladen und losgeschickt. Und jetzt haben wir hier das Last-Mile-Logistikzentrum der Zukunft. Wir müssen es gar nicht erst bauen, das alte Druckhaus bekommt einfach eine neue Bestimmung."

Nicht nur Sassen und Dungs freuen sich über die Möglichkeiten der Umnutzung des Gebäudes. "Einige Leute sind schon auf mich zugekommen und haben gesagt: 'Ich habe da schon als Student gearbeitet und die Zeitungen ausgetragen, toll, dass das Druckhaus weiter genutzt wird'", erzählt Dungs. So trägt der Erhalt des Druckhauses auch dazu bei, dass die Stadt Essen ihren eigenen Charme und Charakter behält.

+++ Zur Person +++

Sarah Dungs (29) kommt gebürtig aus dem Ruhrgebiet und ist Geschäftsführerin der Greyfield Group mit Hauptsitz in Essen. Ihr Credo: „Eine schicke Unperfektion.“ Sie ist sich sicher, dass es nicht nur herausfordernd ist, die Städte zu transformieren. Vielmehr ginge es auch um die Transformation der Mindsets der Menschen. "Die Stärken und Potenziale im Ruhrgebiet sind bereits vorhanden, wir müssen sie nur selbstbewusst vertreten, auf ihnen aufbauen und auf sie vertrauen. Nicht reden, sondern machen. Das ist das Ruhrgebiet."

+++ zur Person +++

Timm Sassen ist Gründer und Geschäftsführer der Greyfield Group. Der Leitspruch des im Ruhrgebiet geborenen 46-Jährigen: Deutschland sei fertig bebaut und so auch das Ruhrgebiet. "Wir müssen lernen zu reparieren, zu restaurieren und umzunutzen. Speziell bei der gebauten Umwelt im Ruhrgebiet bedarf dies einer großen kreativen Herausforderung", ergänzt er. Sassen ist Architekt und unter anderem Lehrbeauftragter an diversen Universitäten. 

Bilder: Jens Hauer

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