Ein Wasserstoffnetz für das Ruhrgebiet

Unternehmen aus dem Ruhrgebiet und dem Münsterland planen eines der ersten öffentlich zugänglichen Wasserstoffnetze. Es soll Industriebetriebe in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit grünem Wasserstoff versorgen.

Die Energiewende erfordert mutige Akteur*innen, die bereits sind, gemeinsam neue Wege zu beschreiten. Fünf Industrieunternehmen stellen die Weichen für den Umstieg auf erneuerbare Energien – vier davon kommen aus dem Ruhrgebiet. bp, Evonik, Nowega, OGE und RWE Generation wollen mit dem Projekt GET H2 Nukleus das erste öffentlich zugängliche Wasserstoffnetz zwischen Lingen in Niedersachsen und Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen aufbauen.

Über das Netz sollen Anbieter*innen von Wasserstoff ab Ende 2024 Industrieunternehmen in beiden Bundesländern mit dem CO2-freien Energieträger versorgen. Das könnte die klimaschädlichen Emissionen der Industrie reduzieren und die Energiewende beschleunigen.

Das Wasserstoffnetz führt von Lingen in Niedersachsen bis Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen.

Der grüne Wasserstoff soll aus Wind- und Solarstrom erzeugt werden. Für die Produktion von grünem Wasserstoff will RWE am Kraftwerksstandort Lingen eine Elektrolyseanlage bauen. Der Transport von Lingen zu den industriellen Abnehmern wie Raffinerien und Chemieparks erfolgt größtenteils über bestehende Erdgasleitungen der Fernleitungsnetzbetreiber Nowega und OGE. Dazu stellen die Fernleitungsnetzbetreiber die Leitungen auf den Transport von Wasserstoff um. Lediglich die 15 Kilometer lange Leitung zwischen Marl und Gelsenkirchen sowie einen drei Kilometer langen Abschnitt in Lingen baut Evonik im Auftrag von bp neu. "Im Ruhrgebiet gibt es bereits eine große Infrastruktur für Erdgas, die im Zuge der Marktraumumstellung auf Wasserstoff potenziell umgerüstet werden kann. Das ist ein großer Standortvorteil, den es in vielen anderen Regionen Deutschlands so nicht gibt", sagt Sebastian Koch. Er ist Bereichsleiter Netz und Organisation bei Nowega und verantwortlich für das Projekt. 

Nowega ist als Infrastrukturbetreiber für den Transport des Wasserstoffs zuständig. In diesem Rahmen kümmert sich Koch um die vertraglichen Grundlagen von GET H2 Nukleus. "Wir können zwar vereinzelt Regeln aus der Erdgasbranche als Grundlage nutzen, das große Ganze muss aber neu gedacht werden", sagt er. Denn noch gibt es keinen liquiden Markt für Wasserstoff. "Unser Ziel ist es, irgendwann mit Wasserstoff einen genauso liquiden Handel zu erreichen wie mit Erdgas."

Der Zugang zum Wasserstoffnetz soll wie bei Strom- und Gasnetzen diskriminierungsfrei sein. Das heißt, jede*r, der*die mit Wasserstoff handelt – ob Produzent*in, Händler*in, Lieferant*in oder Verbraucher*in – kann die Infrastruktur nutzen. "Ein reguliertes Netz mit diskriminierungsfreiem Zugang ist wie eine öffentliche Straße. Jede*r kann darauf zugreifen und seinen Wasserstoff einbringen, solange Kapazitäten vorhanden sind", erklärt Sebastian Koch.

Das Projekt hört nach dem Transport von Wasserstoff jedoch nicht auf. Die Verantwortlichen von GET H2 Nukleus wollen alle Bausteine der Wertschöpfungskette abdecken: Produktion, Speicherung, Transport und Verbrauch. Großen Bedarf hat zum Beispiel bp. Die Raffinerie in Gelsenkirchen benötigt für die Herstellung ihrer Produkte große Mengen Wasserstoff. Derzeit verwendet sie dafür grauen, also nicht klimaneutralen Wasserstoff. "Wir würden diesen gerne durch grünen Wasserstoff ersetzen und damit die Dekarbonisierung unserer Prozesse vorantreiben", sagt Eric Jennes, Elektroingenieur und Projektleiter für GET H2 Nukleus bei bp.

Die bp Raffinerie in Gelsenkirchen von oben.

Im Ruhrgebiet konzentriert sich ein hoher Bedarf an Wasserstoff. Das macht die Region als Absatzmarkt interessant. "Neben bp gibt es viele Unternehmen, die Wasserstoff benötigen. Zum Beispiel die Stahlindustrie, die derzeit noch mit Kohlenstoff arbeitet und dabei große Mengen an CO2 produziert. Auch sie braucht den Wasserstoff, um ihre Prozesse zu dekarbonisieren", sagt Jennes.

"Hier schlägt das Herz des europäischen Wasserstoffnetzes"

Wenn es um Wasserstoff geht, ist das Ruhrgebiet ein führender Standort in Deutschland und Europa. "Hier schlägt das Herz des europäischen Wasserstoffnetzes", sagt Kai Tenzer, Pressesprecher von Nowega und Koordinator der Kommunikation von GET H2. Das habe auch mit der Geschichte des Ruhrgebiets zu tun. Energieunternehmen hätten sich schon immer dort angesiedelt, wo der Bedarf groß ist. Durch die lange Industriegeschichte habe der Standort ein fundiertes Know-how im Energiesektor und schließlich auch für Wasserstofftechnologien entwickelt.

Die Initiative GET H2 bündelt diese Kompetenzen. Die Partner*innen treffen sich regelmäßig in kleineren Arbeitsgruppen und tauschen sich aus, zum Beispiel über die Möglichkeiten im Bereich Wasserstoff für unterschiedliche Unternehmensgrößen oder über politische und regulatorische Themen wie Zertifizierungen. "Es ist ein Stück weit einzigartig, dass Partner*innen aus der gesamten Wertschöpfungskette mit dabei sind. Durch die unterschiedlichen Kompetenzen und Sichtweisen können Fragen und Probleme direkt angegangen werden", sagt Sebastian Koch von Nowega. Gerade kleinere Unternehmen wie Nowega profitieren von GET H2 Nukleus: "Dadurch, dass so viele große Unternehmen mit Strahlkraft dabei sind, wird das Projekt von Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen", so Koch.

Die Wirtschaft steht in den Startlöchern, allerdings fehlen noch die letzten Förderbescheide für GET H2 Nukleus. Sobald die notwendige Investitionssicherheit gegeben ist, soll mit der Umsetzung begonnen werden.

Titelbild: Nowega
Weitere Bilder: GET H2 Nukleus / BP Europa SE 

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